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Terra Madre

Terra Madre

Titel: Terra Madre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Petrini
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gibt aber noch andere Gründe dafür, dass wir uns von den Lebensmitteln früher oder später aufessen lassen werden, beispielsweise die Geschwindigkeit unseres Lebensstils. Durch den Temporausch in Produktion und Konsum nehmen wir unsere Lebensrealität nicht mehr wahr. Als Konsumenten erliegen wir Versprechungen, die uns am Ende enttäuscht und mit einer großen inneren Leere zurücklassen. Durch die Geschwindigkeit in unserer Gesellschaft geht der Wert der Lebensmittel verloren, sie werden zum reinen Brennstoff ohne jede Qualität – oder zum Statussymbol für elitäre Verbraucher. Einen Mittelweg gibt es nicht. Aber genau dort läge, setzte man den gesunden Menschenverstand ein, der wahre Wert der Lebensmittel. Sie könnten dann Quelle des Genusses sein und identitätsstiftend wirken, ihr Bezug zur Natur und zum Wohlbefinden käme zum Tragen. Die Geschwindigkeit verführt uns dazu, unsere Grenzen zu überschreiten, weil sie uns daran hindert, sie zu erkennen. Wir merken erst, dass wir zu weit gegangen sind, wenn wir – oft nicht wiedergutzumachende – Fehler begangen haben. Deshalb ist der Wert der Langsamkeit so wichtig: Slow bedeutet wahrzunehmen, wo die eigenen Grenzen liegen; die Geschwindigkeit zurückzunehmen, um die Unterschiede zu erkennen und zu schmecken; uns fernzuhalten von jenen, die alles, was alt ist, als überholt betrachten. Wer langsam geht, hat Zeit zurückzublicken, kann die eigene Erinnerung nutzen, anstatt sie auszulöschen oder ihre Bewahrung anderen zu überlassen.
    Ein Leben im Überfluss – das ist eine weitere große Illusion der Konsumgesellschaft. »Quantität« bedeutet nicht notwendigerweise »Qualität« und schon gar nicht Menschlichkeit. Genügend Ressourcen für alle wären ja vorhanden, das Problem ist nur, dass wir nicht in der Lage sind, sie zu nutzen und auf diese Weise in uns und um uns herum riesige Ungleichgewichte schaffen. Der Überfluss bringt uns dazu, die Lebensmittel zu verschwenden und gleichzeitig zu fordern, dass sie möglichst billig sind. Er lässt Völker auf allen Kontinenten hungern, verbraucht die Erde und macht uns zu Gefangenen eines Systems, in dem der Wert der Lebensmittel nicht mehr geschätzt wird.
    Die Natur des Konsumismus zielt darauf ab, falsche Bedürfnisse zu wecken. Sie lässt uns etwas kaufen, was wir nicht brauchen, und verkauft uns falsche Versprechungen, falsche Werte. Die Werbung der Lebensmittelindustrie ist skandalös. Sie verbreitet falsche Wahrheiten, entweiht die Heiligkeit der Nahrungsmittel, ersetzt Genuss durch Exzess und isst so unseren Verstand auf. Wenn das Fernsehen Werbung zeigt, verkauft es unser Gehirn an die Produzenten. Kriminell ist vor allem die Art, wie die Werbung in die Seele unserer Kinder eindringt. Ein europäisches Kind sitzt durchschnittlich drei Stunden täglich vor dem Fernseher. Es ist dabei einem wahren Bombardement ausgesetzt, in dem die Lebensmittel alles sein können, nur nicht das, was sie in Wirklichkeit sind. Im italienischen Fernsehen werden Spots gezeigt, in denen eine Kuh am Morgen ins Haus kommt, um die Milch vorbeizubringen; oder die Oma schickt die Familie weg, weil sie angeblich nicht zu essen im Haus hat, nur um sich in Ruhe und allein ein Fertiggericht »schmecken« zu lassen. Soll das ein Witz sein? Die Großmütter müssten uns eigentlich zu Geschmack und guter Ernährung erziehen, sie müssten uns noch mehr als die Mütter die Freude am Essen vermitteln und ihr Wissen über die Nahrungsmittel weitergeben.
    Mit dem Schüren von Bedürfnissen, von denen wir nicht einmal im Traum dachten, dass wir sie haben, liefert die Werbung den schlagkräftigsten Beweis dafür, dass wir nicht mehr Herr über unsere Lebensmittel, nicht mehr Herr über unsere Zukunft sind.
    Gutes Essen ist nicht teuer
    Nein, gutes Essen ist tatsächlich nicht teuer. Wenn sich als einzige Alternative in Krisenzeiten der Besuch im Fast-Food-Restaurant oder der Kauf von Produkten niedrigster Qualität beim Discounter anbietet, deutet das darauf hin, dass wir vielleicht schwerwiegendere und tiefer verwurzelte Probleme haben als die Krise selbst. Dem knappen Budget entgegenzuwirken, indem man minderwertiges, auf lange Sicht schädliches Essen auf seinen Teller – und den seiner Familienangehörigen – bringt, kann nicht die Lösung sein. Dies umso mehr, als es genügend andere Möglichkeiten gibt: ein gutes Stück Fleisch, ein guter Fisch, gutes Gemüse. Die täglichen Mahlzeiten zu Hause ebenso wie das gelegentliche Mahl

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