Terra Madre
führen von der Habgier, in deren letzter Konsequenz wir von den Lebensmitteln und allen anderen Waren, die wir produzieren, aufgegessen werden. Aber das Wichtigste von dem, was mir der Mönch aus Rochefort erzählte, ist diese zusätzlich produzierte Menge, deren Ertrag zum Verschenken verwendet wird. Hier zeigt sich eine Ökonomie der Unentgeltlichkeit, die in unserem Konsumwettlauf vollkommen verloren gegangen ist. Im Konsumismus ist der Profit die eigentliche Religion, und alles, was wir tun, muss vor allem eins: Gewinn abwerfen.
Unentgeltlichkeit hingegen ist ein Wert, der gerade innerhalb der Lebensmittelbündnisse hochgehalten wird und der in den bäuerlichen Zivilisationen schon immer präsent war. Dort halfen und helfen sich die Familien gegenseitig (wenn auch leider nicht mehr überall). Ist eine Familie beispielsweise früher mit der Ernte fertig, hilft sie beim Nachbarn mit. Die Gerätschaften werden bei Bedarf gegenseitig ausgeliehen und Gleiches gilt für das Saatgut, wenn es verloren geht. In früheren Zeiten war es bei vielen italienischen Bauernfamilien Brauch, stets einen Teller mehr zu kochen – es hätte ja ein Wanderer an die Tür klopfen können. Natürlich muten viele frühere Formen der Unentgeltlichkeit heutzutage archaisch an, nicht mehr zeitgemäß, aber sie müssen ja nicht unbedingt in genau derselben Weise wieder aktiviert werden.
Einen Teil der Produktion als Spende vorzusehen, hat eine sehr interessante wirtschaftliche Funktion. Ich glaube zum Beispiel, dass Schenken die beste Vorbeugung gegen Verschwendung ist. Wenn ich vorhabe, etwas zu verschenken – Güter, Lebensmittel, Zeit, Arbeitskraft –, baue ich in den wirtschaftlichen Mechanismus eine Art Puffer ein. Dieser sorgt dafür, dass ich die Grenzen der wirtschaftlichen, ökologischen und existenziellen Nachhaltigkeit im Produktionsprozess beachte, und hält mich gleichzeitig davon ab, den Überschuss zu verschwenden.
Ich spreche hier nicht von der schäbigen »humanitären Hilfe« für die Länder der sogenannten Dritten Welt, die ganze Wirtschaften in Afrika und Asien in die Knie gezwungen hat, indem sie die örtlichen Märkte ruinierte und die Menschen dazu brachte, ihre überlieferten Produktionsweisen aufzugeben. Dieser Art Geschenk liegen eigene Interessen zugrunde, nämlich den Überschuss an Waren aus dem Norden der Welt, deren Erzeuger am Tropf der Subventionen und Hilfszahlungen hängen, zu entsorgen.
Das Geschenk, von dem ich spreche, muss in den Ökonomien vor Ort ankommen, dort muss die Produktion auf menschenfreundliche Art organisiert werden. Ein Geschenk im Rahmen der eigenen Aktivitäten vorzusehen, kann die Rettung bedeuten, falls die Produktion nicht wie geplant läuft. Man kann dadurch auch anderen helfen und muss vor allem nichts verschwenden.
Rufen wir uns in Erinnerung: In Italien werden täglich 4.000 Tonnen essbare Lebensmittel weggeworfen. Ein Großteil davon könnte an diejenigen verschenkt werden, die sie wirklich brauchen. (Die Zahl der armen in Italien steigt stark: Nach einer von der Banco Alimentare am 8. Oktober 2009 vorgelegten Untersuchung gibt es drei Millionen sehr arme Italiener, die an Mangelernährung leiden.) Wenn wir uns dies vor Augen halten, verstehen wir besser und konkreter, dass der Faktor Unentgeltlichkeit in die wirtschaftliche Debatte eingebracht werden muss und sowohl für die Umwelt als auch auf sozialer und ökonomischer Ebene von großem Wert sein kann. Heute wird dieser Wert von einem Produktionssystem, das nur auf den reinen Konsum abzielt, völlig außer Acht gelassen. Aber der Wert eines Produkts ist etwas anderes als sein Preis: Der Wert gibt den Lebensmitteln einen Teil ihrer wahren Bedeutung zurück.
Geschwindigkeit, Überfluss und falsche Bedürfnisse
Die Daten der Welternährungsorganisation FAO belegen, dass auf der Welt Lebensmittel für zwölf Milliarden Menschen erzeugt werden [4] , während doch nur sieben Milliarden die Erde bewohnen. Gegen jede Vernunft steigt die Produktion trotzdem unaufhaltsam. Die multinationalen Konzerne suchen nach immer neuen Methoden, um die Mengen zu erhöhen. Die Appelle derjenigen, die sich institutionell um den Hunger in der Welt kümmern müssen, laufen stets unter dem Motto: »Wir brauchen mehr Lebensmittel.«
Bei jeder Krise ermahnen uns die Regierungen aufs Neue, mehr zu konsumieren. Sie sehen nicht ein, dass uns gerade unser unsinniger, ungeordneter und verschwenderischer Konsumismus in diese Lage gebracht hat.
Es
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