Terra Madre
ich wütend, denn gerade in Italien können wir die positiven Effekte einer Dezentralisierung der Produktion sehr gut beobachten: die Ausbreitung kleiner und mittlerer Höfe anstelle der Großbetriebe. Die vielen exzellenten Lebensmittel sind das beste Beispiel dafür, ebenso die Anbau- und Aufzuchtmethoden, die uns ganz eindeutig eine bessere und gesündere Nahrung liefern als die industrielle Produktion.
Das alles verdanken wir der Vielfalt einer lokalen und dezentralisierten Landwirtschaft, die unabhängig von den Machtzentren der Saatgut- und Futtermittelindustrie und der Großverteiler funktioniert. Das eindrücklichste Beispiel in diesem Zusammenhang wird jedoch ausgerechnet von den italienischen Befürwortern der Konzentration als Erfolgsmodell angeführt: der Wein.
In wenig mehr als zehn Jahren, von 1986 bis in die Mitte der 1990er-Jahre, erlebte der Weinbau in Italien, der wegen des Methanol-Skandals [5] am Ende zu sein schien, eine wahre Renaissance, und heute kann er sich auf den internationalen Märkten mit den besten französischen Weinen messen. Wie ist es dazu gekommen? Viele kleine Winzer nutzen die spezifischen Eigenschaften ihres Betriebs und ihres Terroirs, um unverwechselbar zu werden und Topqualität zu erzeugen. In wenigen Jahren konnten sie dank dieser Strategie die Produktion erhöhen, die Qualität verbessern und bedeutende Marktanteile und wichtige Auszeichnungen erringen. Zum Glück ist Italien unter klimatischen und geomorphologischen Aspekten sehr variantenreich und verfügt über eine große Vielfalt an autochthonen Rebsorten. Man wusste diese Vorzüge optimal einzusetzen und verzichtete dabei auf jegliche Standardisierung. In der Welt des Weins wird heute die Vereinheitlichung des Geschmacks als Super-GAU angesehen. Die Winzer wissen genau, dass sie sich nur durch Betonung der Unterschiede, durch ein unverwechselbares individuelles Profil auf dem Markt behaupten und das Optimum aus ihrer Produktion herausholen können.
Ohne dezentralisierte Landwirtschaft, ohne Wertschätzung der Vielfalt, dank der kleine und mittlere Betriebe die typischen Eigenschaften ihrer Böden optimal nutzen können, gibt es keine Ernährungssouveränität – nicht im Norden und noch weniger im Süden. Ohne dezentralisierte Landwirtschaft gibt es auch keine Zukunft, möchte man hinzufügen.
Biodiversität und Identität
Zwischen Artenvielfalt und Identität besteht ein enger Zusammenhang. Die Biodiversität als Garant für Evolution ermöglicht es den Lebensmittelbündnissen, die natürlichen Ressourcen zu nutzen, indem sie sich ihnen anpassen. Aus der Biodiversität und den charakteristischen Eigenschaften des Ortes entwickeln sich die Landwirtschaft und ihre Techniken sowie Art und Zeitpunkt der Ernte und des Verzehrs der Produkte, kulinarische Traditionen und gesellige Bräuche. So entstehen Identität und Kultur der Völker, wobei sich, wie wir bereits gesehen haben, Identität über eine besondere Form der Vielfalt definiert, nämlich über die unterschiedlichen Daseinsformen und Lebensgewohnheiten der Völker. Ohne Austausch gibt es keine Identität, sie kann nur aufgrund von Unterschieden existieren. Wir definieren uns über unsere Mitmenschen, allein sind wir dazu nicht in der Lage. Daher dürfen wir uns vom anderen, vom Fremden, vom Unbekannten nicht ängstigen lassen. Ohne diese Verschiedenheit wäre unsere eigene Identität gefährdet.
Die Natur verhält sich nicht anders. Sie vermittelt uns den Wert und den Reichtum der Verschiedenheit. Die Analogie zur Biodiversität ist offensichtlich: Ohne Artenvielfalt, ohne Varietäten und Rassen, Kreuzungen und Auslese wäre die Natur in Gefahr. Sie hätte nicht die Kraft, den Schwierigkeiten, die sich ihr immer wieder in den Weg stellen – Krankheiten oder Veränderungen der Umweltbedingungen –, zu begegnen.
Betrachten wir einige Beispiele.
Im Jahr 1970 hatte die moderne Landwirtschaft der USA ein schwerwiegendes Problem zu lösen. In den Südstaaten vernichtete eine Pflanzenkrankheit (Helminthosporium maydis) die Maiskulturen aus kommerziellen Hybriden, die von einer einzigen Sorte ausgehend gezüchtet worden waren. Eine in Afrika existierende wilde Varietät des Maises war hingegen resistent gegen den Erreger. Dank dieses genetischen Schatzes konnte der arme afrikanische Kontinent der fortschrittlichen und hypermodernen industriellen Landwirtschaft der USA als Retter in der Not zu Hilfe eilen. [6]
Ein weiteres Beispiel ist das Institut Vavilov,
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