Terra Madre
reine Subsistenzwirtschaft betrieben, von der Landwirtschaft ab oder traten als Arbeiter in den Dienst der Großgrundbesitzer.
Am Ende steuerte unabhängig vom territorialen Kontext alles – einheitliche Technik, Monokultur, Forderung nach standardisierten Rohstoffen für den Export und viele weitere für die industrielle Landwirtschaft typische Faktoren – in dieselbe Richtung: Konzentration der Ländereien in den Händen einiger weniger sowie intensiv betriebene Massenproduktion.
Der gleiche Konzentrationsprozess spielt sich auch in der Viehzucht ab. Die Monokulturen dienen ja fast immer der Erzeugung von Futtermitteln für die Tiere, nicht direkt der Lebensmittelproduktion für die Menschen. In einigen Ländern haben die Betriebe mit Intensivmast eine solche Dichte erreicht, dass in ihrem Umfeld keine gesunden Lebensbedingungen mehr garantiert werden können, weder für Tiere noch für Menschen.
Bei den Schlachthöfen stoßen wir auf eine ähnliche Entwicklung. In den Vereinigten Staaten verarbeiten lediglich 13 Schlachthöfe 80 Prozent des im Land erzeugten Rindfleischs. Auch die anderen Erzeugerketten sind von diesem Problem betroffen, da sie immer mehr den strengen Auflagen der Großverteiler genügen müssen, die ihrerseits einem Konzentrations- und Zentralisierungsprozess unterworfen sind. Die großen Betriebe verschlingen nach und nach die kleineren, was im industriellen Sektor gang und gäbe ist. Aber hier geht es um Lebensmittel. Selbst der Konsum ist bei näherer Betrachtung nicht immun gegen die Zentralisierung der »Nahrungsmittelmacht«. Wenn wir Massenprodukte in einem Supermarkt kaufen oder uns bei einer Fast-Food-Kette verpflegen, deren Restaurants in jeder Ecke der Welt gleich aussehen, liegt auch hier die »Nahrungsmittelmacht« in den Händen einiger weniger.
Dieses Wirtschaftsmodell stellte in nur einem halben Jahrhundert das Lebensmittelsystem der Welt völlig auf den Kopf. Zu seiner Rechtfertigung wird immer wieder vorgebracht, dass auf diese Weise die Produktivität und vor allem die Effizienz des Systems gesteigert werden. So könne man die Welt ernähren und die Lebensmittel, die auf unseren Tisch kommen, besser kontrollieren. Doch dieses Versprechen wurde, wie wir wissen, nicht eingelöst, im Gegenteil: Die Situation hat sich massiv verschlechtert. Nur ein stärker dezentralisiertes System könnte die produktive Leistungsfähigkeit der industriellen Systeme verbessern und zudem garantieren, dass die »Herrschaft« über die Lebensmittel in die Hände der Völker und der lokalen Gemeinschaften zurückkehrt. Dass dies möglich ist, haben bereits viele dezentralisierte Systeme bewiesen.
Im »Manifesto sul futuro del cibo« (Manifest zur Zukunft der Lebensmittel) wird eine Forschungsarbeit aus dem Jahr 2006 zitiert, die über 200 Projekte nachhaltiger Landwirtschaft in 52 Ländern mit rund 30 Millionen Hektar Land und neun Millionen Bauernfamilien untersucht hat. Aus dieser von verschiedenen Universitätsinstituten gesponserten Arbeit geht hervor, dass eine nachhaltige Wirtschaftsweise – und damit eine relative Dezentralisierung – »zu beträchtlichen Ertragssteigerungen führen kann«. Einige Bauern erzielten mit ihren nachhaltigen Methoden 150 Prozent mehr Ertrag. Weil ihre Kosten auf lange Sicht wesentlich niedriger sind als bei konventionellen Erzeugern, erwirtschaften die Biobauern oft größere Gewinne, selbst in den seltenen Fällen, in denen die Ernte etwas niedriger ausfällt. Die Erträge der biologischen Landwirtschaft liegen im Allgemeinen höher, wenn sie »pro Oberflächeneinheit« gerechnet werden. Die Industrie-Techniker bestimmen aber fälschlicherweise den Ertrag »pro Arbeitseinheit«. Da in industriellen Prozessen ein Großteil der Arbeit von Maschinen und chemischen Substanzen statt von Menschen geleistet wird, erscheint das System auf den ersten Blick effizient, ist es aber in Wirklichkeit nicht. Die Ergebnisse der industriellen Produktion werden sogar noch weiter verzerrt, weil die (subventionierten) Kosten, die durch Umwelt- und Gesundheitsschäden entstehen, nicht quantifiziert werden können. [4]
Die meisten Erhebungen haben gezeigt, dass kleine Betriebe mit hoher Biodiversität mindestens so produktiv sind wie industrielle. Und das System selbst bedient sich dieser Ergebnisse. Wenn ich etwa höre, Italien sei nicht wettbewerbsfähig, weil es nicht genügend konzentrierte Landwirtschaftsbetriebe gibt, die den Bedürfnissen des Marktes entsprechen, werde
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