Terra Madre
Heiligkeit der Nahrung noch all das, was für ihre Herstellung und Zubereitung geleistet werden muss. Die Ernährungssouveränität kann nicht garantiert werden, wenn man die Prinzipien des Sparens, der Wiederverwertung und des Recyclings nicht hochhält. Für die Lebensmittelbündnisse ist dies seit jeher selbstverständlich und ein wesentlicher Teil ihres Wesens. Es ist, wie bereits gesagt wurde, eines der Grundmerkmale, die einer neuen industriellen Revolution entscheidende Impulse geben können, einer Revolution, die ihrerseits einen dauerhaften Prozess der Entindustrialisierung einleiten muss.
Das mag widersinnig klingen, ist es aber nicht, sondern bedeutet einfach nur, die Dinge wieder an ihren richtigen Platz zu rücken und grundlegende Widersprüche aufzulösen. Entindustrialisierung heißt in erster Linie, den Umfang der Produktion, die Massenfertigung und den Hang zur Zentralisierung zu reduzieren und der Komplexität mehr Raum zu geben.
Die örtlichen Lebensmittelbündnisse nutzen seit jeher diese Komplexität der Abläufe. So verwenden sie etwa den Ausschuss des einen Produktionsprozesses, um damit den nachfolgenden in Gang zu setzen.
In der Landwirtschaft müssen die Ausscheidungen der Tiere als Düngemittel Verwendung finden und nicht zu Ozeanen voller Antibiotika und schädlicher Substanzen anwachsen, die niemand mehr vernünftig entsorgen kann. Weidewirtschaft muss dem Erhalt der Biodiversität sowie der Säuberung der Fluren dienen, um sie vor Bränden zu schützen. Mischbeweidung von Feldern durch verschiedene Tiere kann zur Verbesserung des Pflanzenwachstums eingesetzt werden. Einige Pflanzen- und Tierabfälle lassen sich über Biomasse-Anlagen in Energie umwandeln (und da sage noch einer, die Bündnisse seien rückständig … dies sind neue Technologien!).
Durch die Schlachtung der Tiere vor Ort und entsprechende »Erziehungsmaßnahmen« bei den Fleischkonsumenten kann die Verschwendung begrenzt werden. Alle Teile des Tieres sollten verwendet werden, nicht nur die als wertvoll geltenden. Die Gastronomie der Bündnisse stellt ihr ganzes Wissen in unseren Dienst und zeigt uns kulinarische Möglichkeiten zur Zubereitung sämtlicher Teile eines Tieres auf. Aus den Resten kann man wieder neue Gerichte kochen oder sie als Tierfutter verwenden.
Recycling darf aber nicht nur ein Privileg der ländlichen Gemeinschaften sein, es kann von jedermann angewendet werden und weit über die einfache, im Grundsatz natürlich richtige Trennung des eigenen Mülls hinausgehen. Auch wenn die Notwendigkeit, den städtischen Müll zu recyceln, um ihn wieder dem produktiven Zyklus zuzuführen, ein Auswuchs des Konsumsystems ist, handelt es sich dabei doch um eine sinnvolle Sache.
In der Logik der Nicht-Verschwendung, der Anti-Wegwerf-Mentalität, steht das Recycling, die Wiederverwertung des Abfalls als unabdingbare Voraussetzung für das Erreichen der eigenen Ernährungssouveränität, an oberster Stelle. Es erlaubt uns, aus dem System auszubrechen, der Erde Gutes zu tun und einen kreativen Prozess in Bewegung zu setzen – und Kreativität hat in der Geschichte der Menschheit schon unglaubliche Wunder vollbracht.
Dezentralisierung
Eine der Folgen der Industrialisierung der Landwirtschaft und des globalen Lebensmittelsystems ist die extrem ausgeprägte Tendenz zur Konzentration und Zentralisierung der Prozesse in den Nahrungsmittelketten.
Im Norden der Erde glaubte man in vielen Ländern, Lebensmittel ohne Bauern erzeugen zu können. Man leistete der Konzentration Vorschub, indem man große Landwirtschaftsbetriebe schuf, die sich die kleineren Betriebe nach und nach einverleibten. Deren Besitzer verließen gezwungenermaßen oder auch freiwillig ihr Land. Exemplarisch ist das, was sich innerhalb eines Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten abgespielt hat [3] (siehe Tabelle ⇒ ).
Die gleiche Tendenz ist im Süden des Planeten zu beobachten. Die Ursachen liegen hier einerseits in einer mehr oder weniger offenen Kolonialisierung und in programmierten »entwicklungspolitischen« Eingriffen seitens bestimmter internationaler Organisationen wie der Weltbank und der Befürworter einer »Grünen Revolution«. Andererseits drängten die multinationalen Konzerne des Agro-Business massiv auf technologische Erneuerung, ja, sie zwangen sie den Bauern zum Teil förmlich auf. All dies führte zu einer höheren Konzentration der landwirtschaftlichen Produktion. Als Folge davon wandten sich viele Kleinbauern oder solche, die
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