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Terra Mater

Terra Mater

Titel: Terra Mater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Bordage
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sie sich vollständig aus, ehe sie in die großen, natürlich gewachsenen Korallenröhren der Orgelpfeifen kletterte. Zwar verletzte sie sich dort oft an spitzen Vorsprüngen, doch um nichts in der Welt hätte sie den Schutzanzug der Himmels-Reinigerinnen angezogen, einen dicken Overall, in dem sie das Gefühl hatte, ersticken zu müssen. Oniki sah in diesen Verletzungen den Preis für den berauschten Zustand, den sie jeden Tag erlebte.
    Sie begann mit dem Abstieg durch einen der sechzehn Pfeifenkörper, für die sie verantwortlich war, und Xati Mu,
das blaue Gestirn, tauchte das Innere in ein feenhaftes Licht.
    Die großen Orgeln standen auf achthundert Meter hohen, natürlichen Pfeilern – Resten aus uralten Zeiten, als der Planet noch mit Wasser bedeckt war – und bildeten jetzt einen mehr als zweihundert Meter breiten Schutzschild um Ephren.
    Blumenpolypen, festsitzende Nesseltiere, die zu den Urbewohnern des Planeten gehörten, hatten diese phantastischen Konstruktionen hinterlassen, nachdem das Meer ausgetrocknet war. Betrachtete man sie von unten, hatte man den Eindruck, sich in einem undurchdringlichen Wald zu befinden. Glücklicherweise waren sie innen hohl, und das Licht des blauen Riesengestirns, Xati Mu, und die roten Strahlen des Zwergengestirns, Tau Xir, strömten durch sie hindurch. Der Energie und Wärme dieser beiden Gestirne, die durch die großen Orgeln gefiltert wurden, war es zu verdanken, dass sich die Flora und Fauna hatte entwickeln können.
    Ein paar Meter unter sich spürte Oniki etwas Lebendiges, von dem eine Bedrohung ausging, die sie nur zu gut kannte. Sie umklammerte die Vorsprünge an der Wand fester, hielt den Atem an und rührte sich nicht, Arme und Beine ausgestreckt. Trotz des Pfeifens des Windes konnte sie deutlich das Gleiten des schuppigen Körpers über die Korallen hören. Sie kämpfte gegen den Impuls, einen Blick in die Tiefe zu werfen, denn sie wusste ohnehin, dass eine der großen Korallenschlangen auf sie zuglitt. Ihre Bauchmuskulatur verkrampfte sich. Sie fühlte sich sehr verletzlich und bedauerte in diesem Moment, keinen Schutzanzug zu tragen. Doch sofort verwarf sie diesen Gedanken wieder. Stoff würde das große Reptil nicht davon abhalten, sie zu verschlingen.
    Oniki begann zu zittern; Arme und Beine fingen an, sich
zu verkrampfen. Schweißtropfen rannen ihr in die Augen. Noch immer hörte sie, wie die Schlange leise über den Korallenbaum glitt. Die Zeit schien stillzustehen. Sie verfluchte die siebte Ordensregel, die den Himmels-Reinigerinnen das Tragen von Waffen untersagte, weil die Matrionen fürchteten, dass der Gebrauch von Todeswellen, Gaswerfern oder Bauchbrennern das empfindliche Ökosystem der Großen Orgeln schädigen könne. Denn die einzige Aufgabe des Thuta-Ordens bestand darin, die Rohrwerke sauber zu halten. Der Korallenschild war als Filter gegen die ultravioletten Strahlen Xati Mus unersätzlich.
    Normalerweise hielten sich die Tiere nicht an derart exponierten Stellen, sondern im dichten Geflecht des Korallenwaldes auf. Oniki vermutete, dass sich die Schlange in der Röhre einrollen und ihr den Abstieg unmöglich machen werde. Sie hatte Schmerzen und war erschöpft, auch wenn sie wie ihre Mitschwestern daran gewöhnt war, stundenlang unbeweglich auszuharren. Aber heute fehlte es ihr an Energie. Diese Kraftlosigkeit verdankte sie den drei schlaflosen Nächten und nicht ihrer getanen Arbeit. Das wusste sie, auch wenn sie es sich nicht eingestand.
    Drei Nächte hatte sie in ihrer Klosterzelle hintereinander gewacht; und dieser Regelverstoß, ja Wahnsinn, könnte sie weitaus mehr kosten als die Schande, aus dem Kloster ausgestoßen und für immer auf die finstere und kalte Insel Pzalion verbannt zu werden, wo nie der Wind die Großen Orgeln zum Klingen brachte.
    Vor ihrem geistigen Auge sah sie das Gesicht des Mannes, den sie im Klostergarten aufgelesen und in ihrer Zelle versteckt hatte. Damit hatte sie die Regel Nummer zwei gebrochen, die den Himmels-Reinigerinnen jeden Kontakt mit Männern verbot. Die Thutalinen lebten in strenger Abgeschiedenheit
und legten am Ende ihres Noviziats vor dem Kreis der Matri onen feierlich das Keuschheitsgelübde ab. Zwar hatte Oniki keine sexuelle Beziehung zu diesem vom Himmel gefallenen Besucher gehabt, aber seine Gegenwart hatte sie derart verwirrt, dass sie keinen Schlaf hatte finden können.
    Denn während dieser drei Tage hatte er sich nicht bewegt: Er saß mit gekreuzten Beinen und halb geschlossenen

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