Terra Prima
hörte und plante.
Was zu tun war: Kontakt mit Cludwich auf der WYOMING aufnehmen, die Bedingungen akzeptieren, den Austausch organisieren, der Besatzung einschärfen, wer unter allen Umständen am Leben bleiben mußte, auf wen es weniger ankam und wer um jeden Preis vernichtet werden mußte.
Die Stimmen und Regungen in ihrem Schädel: ein Chaos. Warum fieberte sie dem Kampf einerseits entgegen und empfand andererseits eine brennende Wehmut, wenn sie an ihn dachte? Warum bedauerte sie es einerseits, Bergen, Tellim und die Tigerngeschwister nicht eigenhändig töten zu dürfen, wünschte andererseits jedoch, die Rebellen würden Terra Prima lebend erreichen? Und woher wußte sie eigentlich, wie gefährlich ein ADAM I war? Warum glaubte sie es mit jeder Faser ihres Nervenkostüms zu wissen?
Der Plan: eine Sache weniger Worte zwischen ihr und Waller Roschen. Die Verluste waren kalkulierbar.
Und schließlich jener Teil der Anna-Luna Ferròn, der gleichsam im Zenit ihres Bewußtseins schwebte und auf all das Treiben hinabschaute – auf das Funktionieren, das Fühlen, das Wünschen, auf das Hassen, Trauern und Planen. Dort im Zenit, unter der Kuppel ihres Bewußtseins, kam sie sich vor, als hätte sie mit all dem Gewühle unter ihr nichts zu tun. Dort erschien sie sich selbst so fremd und so verloren, daß sie hätte schreien mögen.
Als alles erledigt war und das Warten begann, blickte sie auf das Arbeitssichtfeld des Kommandostandes. Aus den Daten der Ortung – Entfernung zur WYOMING, Geschwindigkeit beider Schiffe, Zeitkalkulation der einzelnen Projektschritte und so weiter – errechnete sie die Zeit, die ihr noch blieb. Genau achtundneunzig Minuten.
Alpar! Liebe! Das war es, was sie jetzt brauchte. Wenigstens die Illusion von Liebe.
»Sagt mir Bescheid, wenn Tellim und der Roboter an Bord gekommen sind.« Sie verließ die Zentrale.
In ihrer Suite angekommen, rief sie nach einem INGA 12 und klinkte sich danach in die Datenbanken des Bordhirns ein. ADAM I – sie fand das Dossier auf Anhieb, schließlich hatte sie es oft genug gelesen in den letzten Tagen. Viel gab es im Grunde nicht her …
Der INGA 12 meldete sich an. Anna-Luna öffnete das Schott, der Wartungsroboter kam herein. »Geh in die Klinikabteilung«, befahl sie ihm. »Hole den Sanitäter Alpar Koboromajew. Tu es so, daß keiner seiner Kollegen erfährt, wohin du ihn bringst, und tu es sofort.« Der INGA 12 bestätigte und verließ die Suite.
Anna-Luna wandte sich wieder dem VQ-Feld über ihrer persönlichen Schnittstelle zu. ADAM I also …
Sie drängte Verlangen, Sehnsucht und Verwirrung zurück und las: Robotertyp auf der Basis humangenetischer Module wie z.B. X- bzw. Y-Chromosomen oder in Quantenbewegungsstrukturen übersetzte biochemische Extrakte. Energiemuster für wünschenswerte emotionale Zustände oder erweiterte empirische Handlungskompetenz durch autarke Anwendung des Trial-and-Error-Prinzips.
Der A. ist eine Entwicklung des Ehepaares Benedikt und Johanna Roschen aus den siebziger Jahren des dreiundzwanzigsten Jahrhunderts. B. und J. Roschen, beide Philosophen und Kunsthirnspezialisten, gründeten im Jahre 2259 nGG unter dem Eindruck der Massaker auf dem Planeten Woodstock und dem Putschversuch der LGV { * } den Orden der Brüder von Eternalux, dessen Ziel von Anfang an die Überwindung des Homo sapiens sapiens war.
Vor der geplanten Serienproduktion setzte man Anfang des 24. Jahrhunderts unter der Aufsicht von Johann und Paula Roschen versuchsweise eine heute nicht mehr verifizierbare Anzahl von Pilotrobotern des A.-Typs (die Quellenangaben variieren zwischen drei und sieben Exemplaren) auf verschiedenen Planeten der Republik ein. Zweifelsfrei dokumentiert sind ein ärztlicher A. auf Gizeh, ein Exekuter auf Kaamos und ein Landschaftsgärtner auf Neu-lsland.
Letzterer geriet im Jahre 2359 außer Kontrolle, verwüstete viele tausend Quadratkilometer Kulturfläche und tötete 11,23 Millionen Kolonisten und Ureinwohner von Neu-lsland. Unter den Opfern befand sich auch Paula Roschen. Nach diesem verheerendsten Roboterzwischenfall der Neuzeit verbot der Sicherheitsrat von Terra Prima offiziell die Weiterentwicklung des A.-Typs.
Die Forschungsarbeit an dem wichtigen Projekt wurde auf Terra Prima verlegt. Unter der Federführung gewisser Eternalux nahestehender GGS-Kreise um den Roschenclan verfolgte man das A.-Konzept fortan im geheimen und mit allen zur Verfügung stehenden Ressourcen. So brach Magirus Roschen, der Enkel Benedikts
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