Terra Science Fiction
Roman DAS GRAUEN debütierte. Seit dieser Zeit hat Willi Voltz – heute längst Hauptautor und Exposé-Autor von PR – Bedeutendes zum Weltruhm dieser SF-Serie beigetragen. Die nachfolgende Story KLASSIKER ist eine Originalausgabe und wurde eigens für den TERRA-Jubiläumsband geschrieben.
William Voltz
Klassiker
Wenn die Dämmerung hereinbricht und das Wuseln und Quietschen der Mäuse und Ratten bei unseren Sockeln beginnt, ist Menschenzeit. Ein seltsames Licht durchflutet dann die Räume, als fließe grauer Brei an den Fenstern herab und verdränge den honigfarbenen Schimmer, der zwischen einer Straßenflucht vom Abendhimmel bis zu unserem Gebäude hinreicht.
Die, die die Stadt am Tag beherrschen, beginnen sich nacheinander abzuschalten; natürlich nicht freiwillig, sondern weil die Energiezufuhr von den großen Zentren aus gedrosselt und ein Teil der Restmengen in unsere Zubringer geleitet wird.
Eine Stille der Erwartung senkt sich über die Stadt, und in diesem angespannten Warten, das sich Tag für Tag wiederholt, glauben wir manchmal, daß Menschen kommen müßten, um sich in unserem Gebäude zu vergnügen.
Mit einem Seufzen, das mehr zu erahnen denn zu hören ist, verstummen die letzten der großen Computerterminals, die den Tag beherrschen. Sie fallen in einen acht Stunden währenden Schlummer, als überlegten sie sich große Taten für den nächsten Tag. Das bißchen Energie, das nötig ist, um sie auch über die Nacht hinweg am Leben zu erhalten, läßt sie blinken und blinzeln, als äugten ermattete Tiere aus dunklen Winkeln ihrer Höhlen.
Unsere Wände dagegen erstrahlen um diese Zeit in vollem Glanz; ein verheißungsvolles Locken für jeden Besucher. Doch in der Stille außerhalb unseres Gebäudes, in der die Schritte eines einzigen Menschen wie Donner durch die Straßen hallen würden, rührt sich nichts.
Es kommt niemand.
Das Schauspiel der abends in unser Gebäude strömenden Menschen wiederholt sich nicht mehr, seitdem es vor langer Zeit von einem Tag auf den anderen jäh endete.
Das helle, blendfreie Licht, in dem unsere Wände erstrahlen, malt Muster auf den Boden und verbreitet den trügerischen Anschein von Wärme. Die Programmangebote huschen über die Bildschirme, und Linien, die die Abgrenzungen einer unglaublichen Vielfalt von Spielen anzeigen, erscheinen zusammen mit den Spielfiguren, die in der kurzen Zeit ihrer Existenz einen wirbelnden Tanz vollführen und sich dann in winzigen Lichtexplosionen auflösen. Nach einer Weile fallen diese Figuren vom oberen Rand der Bildschirme erneut herab, eifrig und unermüdlich wie Insekten, die einen Unratklumpen umkreisen.
Mit dieser unermüdlichen, allabendlichen Aufforderung zum Spiel versuchen wir die Menschen anzulocken, aber niemand besucht diese Räume, die früher oft bis tief in die Nacht hinein überfüllt waren und vor fröhlichem Leben schier zu bersten schienen.
Irgendwann, von einem Tag auf den anderen, kamen keine Menschen mehr.
Es wurde niemals geklärt, was mit ihnen geschehen ist; wenn es eine Katastrophe war, muß sie sich völlig lautlos und ohne Spuren von Zerstörung und Gewalt abgespielt haben.
Vielleicht sind die Menschen auch nur ganz einfach weggegangen und haben vergessen, die großen Zentren der Energieversorgung abzuschalten.
Einige von uns glauben sogar, daß die Menschen unser überdrüssig waren, daß sie von den Spielen und Filmen, die wir ihnen angeboten haben, gelangweilt waren.
Diese Möglichkeit wurde zuerst von Superflipper in Betracht gezogen, vermutlich weil er aufgrund seines hohen Alters das eintönigste Programm von uns allen anzubieten hat. Aber auf seine Art hatte er noch den besten Kontakt zu den Menschen. Es war uns nie ganz klar, warum sie Superflipper nicht durch eine neuere, raffiniertere Anlage ersetzten. Ja, zugegebenermaßen drängten sich die Menschen früher immer vor allem um ihn herum, als wäre es ein Jux für sie, seine trivialen Spielweisen zu durchschauen und ihn dann zu überlisten.
Einige von uns argwöhnten eine Zeitlang, Superflipper habe die eigenen Fehler nur vorgetäuscht, und gerade das sei der Grund seiner Anziehungskraft gewesen.
Immerhin haben wir Superflipper die Idee zu verdanken, wie man unsere Räume abends wieder füllen könnte. Natürlich geht der Plan davon aus, daß es wirklich Überdruß ist, der die Menschen von uns fernhält.
Wir haben lange über dieses Problem nachgedacht. Es läßt sich nicht einfach damit lösen, immer schwierigere
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