Terror: Thriller (German Edition)
Stille. Marc entdeckte eine schwarze Stelle in der Zimmerecke über dem Kopfende des Bettes. Es war ganz offensichtlich Schimmel.
»Draußen hängt eine Liste mit Telefonnummern. Waren es die beiden Carabinieri aus Pieve? Haben die Sie zusammengeschlagen?«
Der Mann schüttelte nur den Kopf, sagte aber nichts.
»Warum haben Sie deren Telefonnummern aufgehängt, wenn sie solche Angst vor der Polizei haben?«
Der Mann reagierte nicht. Marc wartete noch einen Moment, aber er sagte nichts mehr. Wahrscheinlich war er zu erschöpft. Marc überlegte, was er tun sollte, aber er war selbst zu müde, um noch einen klaren Gedanken fassen zu können, und beschloss, den Mann in Ruhe zu lassen. Er würde morgen wiederkommen.
Er murmelte ein »Buona notte« und ging zur Tür. Er hatte sie noch nicht erreicht, da hörte er hinter sich die Stimme des Mannes: »Ich habe Angst, dass sie wiederkommen und mich totschlagen.«
Marc wandte sich um. Die Augen des Mannes waren voller Angst.
»Bitte helfen Sie mir«, sagte der Mann. Marc wusste nicht, was er antworten sollte. Ihm war völlig unklar, was hier passiert war – wie sollte er dem Mann helfen? Aber er musste etwas sagen, er konnte hier nicht weggehen, ohne ihm einen Funken Hoffnung zurückzulassen, deshalb sagte er, so fest er es vermochte: »Ich werde alles tun, was ich kann, um Ihnen zu helfen. Das verspreche ich Ihnen.« Sein Gegenüber schien zufrieden. Für einen kurzen Moment erschien ein Lächeln auf dem Gesicht des Mannes. »Grazie«, sagte er. Dann schloss er die Augen wieder. Und Marc eilte aus dem Raum und hastete die steile Treppe hinunter.
Er trat aus dem Haus und zog die Türe hinter sich zu. Er rüttelte noch zweimal an der Tür, um sicherzugehen, dass sie auch wirklich ins Schloss gefallen war. Langsam ging er zu seinem Haus zurück. Er sog die frische Nachtluft tief ein.
Pieve di Teco, Freitag, 4. Juni 2010, 17:10 Uhr
Die vor die Fenster gezogenen Vorhänge mussten irgendwann einmal grün gewesen sein. Im Krankenzimmer herrschte Dämmerlicht. Die Tür schloss sich hinter ihr, und Carla Vazzoler blieb einen Moment lang erschrocken stehen. Wie es hier roch! Diesen Geruch kannte sie, es war die gleiche Mischung aus Desinfektionsmittel und muffigem Stoff, er erinnerte sie an den Tag vor acht Jahren, den sie zu vergessen versuchte. Seither war sie nicht wieder in einem Krankenhaus gewesen.
Sie sah sich im Raum um. Links neben der Tür hing ein Waschbecken an der Wand. Darüber ein runder Spiegel. Ein offensichtlich noch unbenutztes Handtuch ordentlich über den Handtuchhalter drapiert. Zwei Betten rechts, zwei links. Sie standen einander genau gegenüber. Im Bett links vor dem Fenster lag das Mädchen. Es hatte die Augen geschlossen und schien zu schlafen. Die drei anderen Betten waren unbenutzt.
Carla ging auf das Bett zu. Sie versuchte leise zu sein, wollte das Kind nicht erschrecken. Auf einem Stuhl neben dem Bett lagen Annas Kleider. Ihr Gesicht sah friedlich aus und entspannt. Man hatte ihr ein weißes Krankenhausnachthemd angezogen. Es war zu groß. Die eigentlich halblangen Ärmel endeten kurz über ihrem Handgelenk. Trotzdem konnte Carla einige der blutigen Risse in Annas Haut sehen. War das das Blut, von dem das Mädchen gesprochen hatte? Was war mit diesem Kind passiert? Worauf hatte sie sich da eingelassen?
Carla sah sich um, auf der Suche nach Anhaltspunkten, nach irgendetwas, das ihr den Einstieg in das Gespräch mit Anna erleichtern würde. Aber da war nichts. Im Gegenteil – etwas Entscheidendes fehlte in diesem Raum. Schließlich fiel ihr ein, was es war: Es waren die Plüschtiere, die Blumen, das Spielzeug, all die Dinge, die ein Kind dieses Alters um sich haben müsste. Sie betrachtete Anna nachdenklich. Der linke Ärmel des Krankenhausnachthemds war nach oben gerutscht und gab den Blick frei auf Annas Unterarm. Die Venen schimmerten durch die zart gebräunte Haut. Sie hatten die gleiche Farbe wie die Vorhänge. Da war etwas auf Annas Arm, über dem Handgelenk, etwas Buntes. Aber da die Innenseite des Unterarms nach oben zeigte, konnte Carla nicht genau erkennen, was es war. Sie ging um das Bett herum und kniete sich mit dem Rücken zum Fenster davor. Jetzt konnte sie es erkennen: Es war eine Kreuzspinne. Sie war rot und hatte ein weißes Kreuz auf dem Rücken. Es war eines dieser Kindertattoos, die man mit Wasser oder notfalls auch mit etwas Spucke anfeuchtet und dann auf die Haut drückt.
Die Tür zum Krankenzimmer
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