Terror: Thriller (German Edition)
auch nicht wieder auftauchen, wenn sie noch einmal Fragen stellten. Die Albaner klapperten die Dörfer mit ihren Mopeds ab, und wenn sich eine Gelegenheit bot, griffen sie zu. Wenn man dann noch die Terrassentür sperrangelweit offen stehen ließ, wie die Deutschen, musste man froh sein, wenn nur der Rechner weg war. Doch Fabrizio kannte seinen Chef gut genug, um zu wissen, wann er am besten einfach tat, was der ihm sagte. Er bog in Richtung Vessalico ab und vor dem Ortseingang gleich noch einmal nach rechts in die schmale, steile Straße, die vom Arroscia-Tal nach oben auf den Berg führte. Regen und Wind wurden immer stärker. Die Wolken hingen sehr tief.
In Serpentinen schraubte sich die Straße zwischen Olivenbäumen steil nach oben. Auf einer Strecke von etwa zehn Kilometern überbrückte sie an die fünfhundert Höhenmeter. Da es nur an wenigen Stellen Ausweichmöglichkeiten gab, hupte Fabrizio vor jeder Kurve. Nach der nächsten Kehre waren sie bereits mitten in den Wolken. Nebelfelder zogen den Berg hinunter. Der Regen trommelte auf das Autodach. Fabrizio nahm die engen Kurven sportlich. Er warf einen schnellen Blick hinüber zu Cesare und spürte, wie er aggressiv wurde. Seit vier Monaten machte er das jetzt mit. Und zwar vorbildlich, wie er fand. Er hatte immer wieder nachgefragt, obwohl er alles, was Cesare zu erzählen hatte, bereits auswendig kannte. Er kannte jede Bewegung, die Valeria gemacht hatte, bevor sie auf den Zebrastreifen getreten war, er wusste, dass, bevor der Lastwagen kam, noch zwei Autos an ihnen vorbeigefahren waren, ein silberfarbener BMW und ein alter weißer Peugeot, beide in so hohem Tempo, dass Cesare seine Enkeltochter instinktiv an der Kapuze ihres Wintermantels gepackt hatte. Er wusste, dass es ein sehr klarer Tag gewesen war. Die verschneiten Berggipfel waren bis nach Genua zu sehen gewesen, und dann hatte Signor Micelli eine Flasche in den grünen Flaschencontainer zwei Meter links des Zebrastreifens geworfen, und Cesare hatte sich zu ihm umgedreht und die Hand von Valerias Kapuze genommen, um Signor Micelli zuzuwinken. Es hatte keinen anderen Grund gegeben, sosehr Cesare auch im Nachhinein über diesen Moment grübelte und sich fragte, warum er Valeria losgelassen hatte, obwohl ihm der Luftballon im Durchgang auf der gegenüberliegenden Straßenseite doch bereits aufgefallen war. Dieser Ballon, eine Raupe mit großen Augen, wurde vom Wind immer weiter in Richtung Straße getrieben, und von rechts kam der Lastwagen auf sie zu, und Valeria hatte gerufen: »Opa, der Ballon!« Ihre Stimme hatte aufgeregt geklungen, aber er hatte aus Höflichkeit ein paar Worte mit Signor Micelli gewechselt und nicht reagiert, und sie hatte noch einmal geschrien: »Der Ballon!« Dann war sie losgerannt, um ihn zu retten. Und Cesares Hand war in dem Moment in der Luft gewesen, am nutzlosesten Ort der Welt, und nicht an der Kapuze seiner Enkelin. Valeria war sechs Jahre alt geworden, und Fabrizio wusste oder glaubte zu wissen, was jetzt in Cesares Kopf vor sich ging.
»Du musst lernen, damit umzugehen, Cesare. Ich halte das nicht länger aus.« Fabrizio war selbst erschrocken, wie aggressiv seine Stimme klang. Er hatte ein paar Meter gerader Strecke vor sich und drückte aufs Gaspedal. Regen prasselte gegen die Scheibe, als wolle er Fabrizios Worte unterstreichen. Der Scheibenwischer schmierte. Und Cesare antwortete ganz ruhig:
»Es ist umgekehrt, Fabi. Du musst lernen, es auszuhalten. Dass an diesem 17. Januar nicht die ganze Küste ins Meer gestürzt ist, dass weiterhin Jahr für Jahr Millionen Autofahrer die Via Aurelia entlangfahren und das Panorama genießen werden, ohne zu ahnen, was dort passiert ist, das ist der Skandal. Damit muss ich leben. Und das auszuhalten, mich auszuhalten, Fabi, das musst du lernen. Ich sehe keinen anderen Weg.« Cesare schloss die Augen. Er wirkte erschöpft. Fabrizio steuerte mit hoher Geschwindigkeit auf die nächste Kurve zu. Er wusste nicht, was er sagen sollte, also schwieg er.
Er dachte an den schwarzen A6, der ihnen eben mit viel zu hoher Geschwindigkeit entgegengekommen war. Warum hatte Cesare ihn weiterfahren lassen? Weil er wollte – unbewusst natürlich – dass andere sein Schicksal teilten? Ein ungeheurer Gedanke. Aber dass sie diesen Wagen nicht gestoppt hatten, war fahrlässig gewesen. Und Cesare war ganz sicher nicht fahrlässig. Was also steckte dahinter?
»Vorsicht!«, schrie Cesare. Fabrizio reagierte sofort und trat auf die Bremse. Das Heck
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