Terror: Thriller (German Edition)
Neuntausend Euro hatte die Gemeinde dafür ausgegeben. Bis dahin hatte Antonio, der ehrenamtliche Messner, das Läuten der Glocken übernommen. Was jetzt durch die Wolkenwand zu ihnen drang, war die Melodie, mit der jeden Sonntag zum Gottesdienst gerufen wurde. Nur diesmal in einer Endlosschleife. Es war genau 17:00 Uhr, als der Alfa Romeo der Carabinieri auf den Platz vor der Kirche einbog. Fabrizio und Cesare stiegen aus. Der Kirchturm mit den Glocken war im Nebel verschwunden. Die Carabinieri standen einen Moment unschlüssig auf dem Platz und sahen sich um. Aber der Nebel war so dicht, dass nicht viel zu sehen war. Selbst das mächtige dreistöckige Haus von Elisa Noè, das direkt neben der Kirche stand, die Frontseite talwärts gewandt wie eine Burg, wurde immer wieder vollständig von Nebelfeldern verschluckt.
»Wir müssen die Glocken ausschalten, sonst werde ich wahnsinnig.« Cesare ging auf die Kirche zu, nach wenigen Metern konnte Fabrizio ihn nicht mehr sehen. Er blieb allein auf dem Kirchplatz zurück und wusste nicht, was er tun sollte. Ein Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Aber es war nur das Knarzen des Funkgerätes aus dem Auto. Die Zentrale gab einen Unfall bei Finale Ligure durch. Das verstand Fabrizio trotz des Höllenlärms, den die Glocken machten. Er spähte in Richtung Kirche. Offenbar war es nicht so einfach, den Computer auszuschalten.
»Ho! Cesare! Klappt es?«, brüllte er in den Nebel. Keine Antwort. In dem Moment nahm er im Augenwinkel eine Bewegung am Haus von Elisa Noè wahr. Er drehte sich um und ging auf das Haus zu. Aus einem Fenster im zweiten Stock hing eine Wolldecke. Sie wurde vom Wind hin und her bewegt. Es war das einzige Fenster, dessen Läden geöffnet waren. Ein riesiges Haus, allein zur Talseite hin hatte es vier Fenster auf jedem Stockwerk. Elisas Mann war bereits vor zehn Jahren gestorben, und seit sie ihre Tante ins Heim gebracht hatte, bewohnte sie das Haus allein. Die Pflege der alten und verwirrten Tante – sie litt an Alzheimer – hatte sie zunehmend überfordert. Plötzlich entdeckte Fabrizio Elisa. Sie lehnte am Fenster über der Wolldecke und schaute zu ihm hinunter. Fabrizio war erleichtert. Mit schnellen Schritten ging er auf das Haus zu.
»Signora!«, brüllte er, um das Getöse der Glocken zu übertönen.
»Signora Noè! Hallo!«
Aber sie reagierte nicht. Der Nebel wurde wieder dichter und machte Elisa Noè zu einem vagen Schatten.
»Signora!«
Die Wolldecke bewegte sich im Wind, und plötzlich zersplitterte etwas unter seinem Stiefel. Ein hässliches Geräusch. Fabrizio beugte sich nach unten. Auf dem nassen Asphalt lag eine Brille. Er war darauf getreten. Der Rahmen aus Metall war gebrochen, das Glas kaputt. Trotzdem war er sicher, dass es die Brille von Elisa Noè war. Fabrizio sah sich die Glassplitter genauer an. Sie waren voller Blut.
»Cesare!« Fabrizio schrie den Namen seines Kollegen so laut er konnte. Er nahm die Brille in die Hand und sah hinauf. Elisa Noè lehnte oben im Fenster ihres Hauses, regungslos, wie eine Schaufensterpuppe. Fabrizio starrte zu ihr hoch, und so wie er da stand, allein vor dem riesigen Haus, schien es, als sei die Verwachsung auf seinem Rücken größer geworden.
»Cesare! Komm mal her!«, schrie er gegen die Kirchenglocken an. Plötzlich nahm er in seinem Rücken eine Bewegung war. Er fuhr herum. Es war Cesare, der eben die Fahrertür des Wagens schloss.
»Was machst du da?«, rief Fabrizio, »ich brüll mir die Seele aus dem Leib …«
»Ich hab nach Werkzeug gesucht. Ich krieg diese verdammten Glocken nicht ausgeschaltet.«
Fabrizio sah seinen Kollegen verwirrt an. Tatsächlich dröhnten die Glocken noch immer über den Platz. Aber die mussten jetzt warten.
»Komm her!« Fabrizio winkte Cesare zu sich und zeigte ihm die zersplitterte Brille.
»Das ist die Brille von Elisa Noè. Sie steht da oben am Fenster.« Fabrizio zeigte hinauf, aber dort am Fenster war nicht mehr zu erkennen als ein Schatten. Die beiden Carabinieri starrten den Schatten einen Moment lang an.
»Komm«, sagte Cesare schließlich. Seine Stimme klang entschlossen.
Sie stürmten die Treppe hinauf, die durch den Garten, den Elisa liebevoll pflegte, zur Terrasse vor der Eingangstür führte. Der Hang war steil. Die Terrasse lag etwa drei Meter über dem Kirchplatz. Bettlaken waren zum Trocknen aufgehängt. Ein eisernes Geländer umgab die Terrasse. Cesare schob die Eisentür auf. Sie quietschte. Sie sahen sofort, dass die Haustür
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