Terror: Thriller (German Edition)
plötzlich mitten in einem dichten Wald. Um diese Jahreszeit erinnerte er an einen tropischen Urwald, triefend vor Feuchtigkeit, dicht bewachsen mit mannshohen Farnen; dicke Lianen hingen von den Bäumen. Hier war es noch dunkler. Fabrizio schaltete zurück in den zweiten Gang. Irgendwo hatte er eine Packung Kaugummis herumliegen. Er suchte die Mittelkonsole ab, aber da war nichts.
»Was suchst du?«, fragte Cesare, aber gerade als Fabrizio antworten wollte, erfassten die Scheinwerfer etwas mitten auf der Straße. Eine Schildkröte, dachte Fabrizio, was macht denn eine Schildkröte hier auf dem Berg? Er trat auf die Bremse.
»Was ist los?«, fragte Cesare.
»Da liegt irgendwas auf der Straße …« Fabrizio zog die Handbremse an, schaltete in den Leerlauf und öffnete die Tür. Er stieg aus und ging auf das Ding zu. Es sah wirklich aus wie der Panzer einer Schildkröte, aber es war aus hartem Plastik und ganz schwarz. Fabrizio hob das Ding vom Boden auf: Es war ein Ellenbogenschoner. Er hatte so etwas schon einmal bei den Inlineskatern gesehen, die sich bei schönem Wetter auf der Strandpromenade von Diano Marina tummelten und die Fußgänger nervten. Fabrizio ging zurück zum Wagen und ließ sich auf den Sitz fallen.
»Fahren die Spinner jetzt schon mit Inlineskates den Berg runter oder was?« Er reichte Cesare seinen Fund, schlug die Tür zu und schaltete in den ersten Gang. Cesare musterte das Ding einen Moment lang verblüfft, dann lachte er auf.
»Wenn’s ihnen Spaß macht.« Er warf das Plastikteil auf den Rücksitz. Fabrizio löste die Handbremse und gab Gas.
»Bitte entschuldige«, sagte er mit leiser Stimme.
»Wofür?« Cesare sah ihn fragend an.
»Was ich da vorhin gesagt habe … wegen Valeria und so …«
Aber Cesare wischte alles Weitere mit einer Handbewegung fort und starrte mit zusammengekniffenen Augen in den Urwald draußen.
»Lass gut sein.«
Damit war das Thema beendet. Sie fuhren eine Weile schweigend.
Noch vier Kurven. Wäre der Nebel nicht gewesen, hätte man Lenzari bereits sehen können.
Die Scheibenwischer schmierten und ruckelten über die Scheibe. Der Regen schien tatsächlich nachzulassen. Fabrizio schaltete sie aus.
Und plötzlich hörte er ein Geräusch. Es kam von oben, vom Berg. Es war keine Autohupe, das war sicher. Er verlangsamte das Tempo und kurbelte die Scheibe herunter.
»Was ist jetzt schon wieder?«, fragte Cesare.
»Hörst du das?« Fabrizio beugte sich aus dem Fenster und nahm die nächste Kehre sehr langsam. Er fuhr jetzt fast Schrittgeschwindigkeit. Cesare kurbelte ebenfalls die Scheibe herunter und lauschte.
»Halt mal an«, sagte er, »und schalt den Motor aus.« Fabrizio warf noch einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. Es war 16:47 Uhr. Dann schaltete er den Motor aus. Die beiden Polizisten saßen im Wagen und lauschten. Fabrizio schaute prüfend aus dem Fenster. Die Wolken hatten den Berg aufgefressen und Lenzari verschluckt. Er wusste, dass es da oben lag, aber es war nicht zu sehen. Dafür wusste er das Geräusch jetzt einzuordnen: »Das sind die Glocken!« Die Glocken der Kirche von Lenzari schlugen. Und sie hörten nicht mehr auf.
Lenzari, Samstag, 30. Januar 2010, 2:15 Uhr
Marc fror und war todmüde. Den Verbandskasten hatte er unter den Arm geklemmt. Es kostete ihn einige Überwindung, das Haus mit der verblichenen 1 wieder zu betreten. Der Gestank der Ratten drehte ihm den Magen um. Er schob die Tür hinter sich zu. Sie scharrte über den unebenen Steinboden. Marc durchquerte die Diele. Die meisten Blutspritzer waren auf der rechten Wand. Während er die Treppe hinaufstieg, versuchte er sich den Ablauf des Überfalls vorzustellen. Warum hatte der Nordafrikaner in der Diele gelegen? Hatte er die Einbrecher dort überrascht? Marc hielt inne. Wenn eingebrochen worden war, musste es Spuren geben! Er ging die Treppe wieder nach unten, durchquerte abermals die Diele und zog die Eingangstür auf. Er untersuchte sie im Licht der Glühbirne. Die Tür war alt und verwittert, das Holz morsch, aber Spuren eines gewaltsamen Einbruchs konnte er nicht entdecken. Nachdenklich schloss er die Tür wieder. Wie waren die Angreifer hereingekommen, ohne sie aufzubrechen? Hatte der Nordafrikaner ihnen geöffnet?
Marc stieg die Treppe hinauf. Als er das obere Stockwerk erreicht hatte, fiel sein Blick auf einen Computerausdruck, den er zuvor nicht bemerkt hatte. Er war mit Reißnägeln an die Wand geheftet. Adressen und Telefonnummern waren da aufgelistet.
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