Terror von Rechts
so wie er kann. Die Täter fühlten sich durch die gleichzeitig stattfindende Debatte über die Asylpolitik und offene Hetze in den großen Medien gegen Flüchtlinge in ihrem Handeln legitimiert. Zudem wich die Staatsmacht vor den rassistischen Gewalttätern immer wieder zurück, in Rostock kapitulierte die Polizei. Aber als Antifaschisten aus Berlin und Hamburg nach Lichtenhagen reisten, um sich den Rassisten entgegenzustellen, war sie zur Stelle, sperrte sogar die Autobahnen. Die unmittelbaren »Erfolge« dieser »direkten Demokratie« – Flüchtlinge wurden unter dem Jubel des Mobs in Sicherheit gebracht – ermutigte rechtsextreme Täter zu weiteren Angriffen und prägte die Generation der Neonazis, die in den siebziger Jahren geboren wurden, wie Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe – die »Generation Hoyerswerda«. Die rassistische Gewaltwelle war die Initialzündung für die nun heranwachsende rechtsextreme Bewegung.
Dimensionen einer Bewegung
In fast allen Medien ist im Zusammenhang mit dem NSU von einem Terror-Trio die Rede. Damit wird ausgeblendet, dass ein Unterstützernetzwerk existiert und die Ideologie der Terroristen gesellschaftlich anschlussfähig ist – zumindest teilweise.
In der Berichterstattung über Rechtsextremismus wird zudem meistens von der rechten oder rechtsextremen Szene gesprochen beziehungsweise geschrieben. Dies verharmlost allerdings die Komplexität und Schlagkraft des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik deutlich. »Szene« – dieser Begriff impliziert eine abgeschlossene, regional begrenzte und in ihren Codes einheitliche Struktur. Dies alles trifft nicht zu. Rechtsextremisten bemühen sich um Anschluss an die »Mitte der Gesellschaft«, agieren bundesweit, sogar international, und es gibt diverse Organisationsformen: Parteien, freie Kameradschaften, kriminelle Banden, Vereine, Musikgruppen, mittelständische Unternehmen, einzelne Aktivisten, Terrorzellen und Unterstützernetzwerke. Innerhalb des Rechtsextremismus haben sich in den vergangenen Jahren zudem diverse Subkulturen und Moden entwickelt.
Daher sollte bezüglich des Rechtsextremismus von einer sozialen Bewegung gesprochen werden. Sozial darf in diesem Kontext auf keinen Fall als inhaltliche Ausrichtung, als Eintreten für Rechte von Minderheiten verstanden werden, sondern ausschließlich als soziologische Klassifizierung.
Nach wissenschaftlichen Kriterien handelt es sich bei einer sozialen Bewegung um einen kollektiven Akteur, der zahlreiche Organisationsformen sowie Mobilisierungs- und Handlungsstrategien umfasst; die verschiedenen Organisationen und Personen verbindet ein gemeinsames Ziel: einen gesellschaftlichen Wandel zu beschleunigen, zu verhindern oder umzukehren. Während bei den sozialen Bewegungen der siebziger und achtziger Jahre größtenteils progressive Kräfte am Werk waren, die sich der Gleichberechtigung und den Bürgerrechten verschrieben hatten, also gesellschaftlichen Fortschritt beschleunigen wollten, wuchs seit Mitte der Achtziger eine reaktionäre, also rückwärtsgewandte soziale Bewegung heran. Diese will gesellschaftliche Prozesse nicht beschleunigen, sondern verlangsamen und umkehren. Sie richtet sich gegen die Prinzipien der Aufklärung und gegen die universellen Menschenrechte. Rechtsextremisten propagieren eine Volksgemeinschaft, bekämpfen den kulturellen Austausch und fordern eine Rückkehr zu einer imaginären ursprünglichen Ordnung. Dies wird oft mit konservativen Werten vermischt, gern auch als »deutsche Tugenden« tituliert: Ordnung, Disziplin und Normalität. Diese Werte sollen die komplexe Gesellschaft übersichtlicher und subjektiv weniger bedrohlich erscheinen lassen. Zudem bedient sich der moderne Rechtsextremismus – wie bereits sein Vorbild in der NS-Zeit – bei der Linken, um sich einen rebellischen und revolutionären Anstrich zu verpassen.
Rechtsextremismus gibt es in Deutschland, seit die moderne Gesellschaft sich herausdifferenziert hat und durch die Mitbestimmungsmöglichkeiten verschiedene gesellschaftliche Gruppen um einen Kompromiss bemüht sind. Die Parteien sind organisatorischer Ausdruck dieser Aushandlungsprozesse. Jede Partei repräsentiert, beziehungsweise repräsentierte zumindest einmal, bestimmte gesellschaftliche Gruppen. Die Anhänger der NPD zeichnen sich dadurch aus, dass Kompromisse und Diskussionen nicht ihre Sache sind, sie hängen einem autoritären Weltbild an, wonach ein starker Mann die Geschicke lenken sollte. Rechtsextremisten zufolge
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