Terror von Rechts
gibt es eine absolute Wahrheit, Debatten und Aushandlungsprozesse zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren sind demnach reine Zeitverschwendung. Daher verhöhnen Rechtsextreme die Parlamente gern als »Schwatzbuden«, die eigentliche parlamentarische Arbeit in den Ausschüssen und Kommissionen tun sie als »Laufen im Hamsterrad« ab.
Da Gesellschaften sich in Transformationszeiten, wie nach der Wende in Ostdeutschland, besonders unübersichtlich gestalten, lässt sich die Entstehung dieser reaktionären sozialen Bewegung unter anderem (!) mit wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erklären. Es ist aber viel zu kurz gesprungen, wenn dies als alleinige Erklärung herangezogen wird, wie es immer wieder gern geschieht: Gebt den Leuten Arbeit, dann ist alles in Ordnung, so die These. Diese Erklärung greift bei einigen rechtsextremen Akteuren zwar teilweise, andere Phänomene werden dadurch aber überhaupt nicht berührt. So gibt es durchaus gutsituierte bis wohlhabende Rechtsextremisten; monokausale Erklärungen sind also auch hier unbrauchbar. Naheliegend erscheint es allerdings, dass Menschen, die wenig bis nichts zu verlieren haben, eher zu riskanten oder unüberlegten Handlungen neigen als Besitzstandswahrer. Wer beispielsweise Verantwortung für eine Familie trägt, überlegt sicher einmal mehr, ob er für einen Überfall auf Migranten oder Linke eine Haftstrafe riskiert.
Sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR hatten bereits rechtsextreme Szenen existiert, die allerdings noch voneinander getrennt agierten. Erst nach der Maueröffnung feierte die extreme Rechte eine braune Hochzeit – auf dem Gebiet der DDR, die schnell von braunen Kadern aus dem Westen heimgesucht wurde. Nationalistische Stimmungen und Krisenszenarien begünstigten die Entstehung oder Verstärkung von rechtsextremen Einstellungsmustern, beispielsweise die Suche nach Sündenböcken.
Der Erfolg der demokratischen Proteste in der DDR dürfte die extreme Rechte zusätzlich beflügelt haben. Denn zum einen herrschte an vielen Orten zunächst ein Machtvakuum, welches die Rechtsextremen füllen wollten, zum anderen hatte der überraschende Sturz des DDR-Regimes gezeigt, dass politische Umwälzungen möglich sind. Dies gab den Völkischen Mut, an ihren eigenen Erfolg zu glauben, an eine weitere Revolution.
Die rechtsextreme Bewegung basiert hauptsächlich auf den Strukturen und Aktivisten in Ostdeutschland – obwohl entsprechende Einstellungen in ganz Deutschland weitverbreitet waren und weiterhin sind. Wissenschaftler sprechen von einer »modernisierungskritischen Reaktion auf Ethnisierungsprozesse und Individualisierungsschübe« in der Gesellschaft. Dies bedeutet praktisch: Angst und Verunsicherung vor allen Veränderungen und Fremde (beziehungsweise das medial verbreitete Bild des Fremden, da an vielen Orten gar keine Fremden anwesend sind) werden als Bedrohung wahrgenommen, die Komplexität der Gesellschaft überfordert viele Menschen, gewohnte gesellschaftliche Institutionen lösen sich auf, neue müssen erst geschaffen werden.
Daher sprachen viele Beobachter beim Kampf gegen den Rechtsextremismus in Teilen Ostdeutschlands auch nicht von der Verteidigung der Demokratie. Das demokratische Bewusstsein gab es dort in Teilen der Bevölkerung gar nicht. Mittlerweile hat sich aber in vielen Regionen ein reges demokratisches Leben entwickelt, selbstbewusst nehmen engagierte Bürger den demokratischen Auftrag wahr und mischen sich ein, was teilweise zu heftigen politischen Schlagabtauschen führt, da viele Parteifunktionäre mit dem Wort »Demokratie« ausschließlich den Begriff »Parlamentarismus« verbinden.
Ostdeutschland leidet an einem siedlungsstrukturellen Problem, wie Experten in empirischen Studien festgestellt haben. Hier dominieren kleine Gemeinden und Kleinstädte. Gut ausgebildete Menschen, die Widerworte geben, wandern aus solchen Siedlungen ab, da sie anderswo Arbeitsplätze und kulturelle Abwechslung suchen. Dadurch wird die Struktur in den Gemeinden noch homogener, sowohl sozial als auch hinsichtlich der Einstellungsmuster. Von homogenen Gruppen geht jedoch weit mehr Gefahr aus als von heterogenen, auch der Konformitätsdruck steigt. Wer von der Norm abweicht, muss mit harten Sanktionen rechnen. Alle kennen sich, es ist kaum möglich, alternative Bekanntschaften und Freundeskreise aufzubauen – anders als in Großstädten. In kleinen Städten in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen erzielt die NPD bisweilen Ergebnisse
Weitere Kostenlose Bücher