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Terror von Rechts

Terror von Rechts

Titel: Terror von Rechts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Gensing
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Kapitel über linksextremen und islamistischen Terror zu finden waren, obwohl diese Phänomene in dem Land – wie der Verfassungsschutz in eben jenen Berichten selbst einräumen musste – gar nicht existierten. Ein entsprechendes Kapitel über Rechtsextremismus fehlte hingegen komplett, trotz zahlreicher Vorfälle, Hinweise und Erkenntnisse. Würde man also dem Verfassungsschutzbericht von 1999 glauben, so wäre die Gefahr durch den Rechtsterrorismus deutlich zurückgegangen. Heute wissen wir, dass das Gegenteil der Fall war, weil sich aus den gewachsenen und durch öffentliches Geld geförderten Neonazi-Strukturen in dem Bundesland die Terrorzelle der NSU bildete. Doch aus damaliger Sicht ist es erstaunlich, dass der Rechtsterrorismus plötzlich an Bedeutung verloren haben soll. Besonders, da andere Sicherheitsbehörden kurz vor der Jahrtausendwende von möglichen Anschlägen durch Neonazis gewarnt hatten (siehe Kapitel »Neue Qualität?«).
    Der Verfassungsschutz Thüringen steht allerdings nicht allein da mit seiner skandalösen Verharmlosung. Auch anderswo wurde die Gefahr durch Neonazis heruntergespielt – oder einfach nicht hingeschaut, weil man Entwicklungen und Phänomene falsch einschätzte oder nicht sehen wollte. Ein Beispiel aus den vergangenen Jahren: Erstmals fiel der Öffentlichkeit am 1. Mai 2008 die Aktionsform der Autonomen Nationalisten (AN) auf, als in Hamburg Hunderte Neonazis im AN-Style (schwarze Kleidung, schwarze Sonnenbrille, teilweise vermummt) an einer von der NPD unterstützten rechtsextremen Demonstration teilnahmen. Der Verfassungsschutz hatte bei diesem Thema tief und fest geschlafen. Es gebe bundesweit rund 200 Autonome Nationalisten, hatte der Geheimdienst damals vermeldet, dabei waren es an diesem Tag allein in der Hansestadt um die 500. Diese Fehlinformation hätte blutige Konsequenzen haben können. Der Einsatzleiter der Hamburger Polizei zeigte sich schockiert über die unerwartet hohe Gewaltbereitschaft der Neonazis; Polizisten und Gegendemonstranten wurde angegriffen. Es hätte Tote geben können, meinte der Polizist, hätten sich die Einsatzkräfte nicht unter hohem Risiko zwischen Neonazis und Gegendemonstranten gestellt.
    In Sachsen äußerte sich die Staatsregierung nach dem Bekanntwerden der rechtsextremen Terrorserie zunächst gar nicht zu dem Skandal. Miro Jennerjahn, Landtagsabgeordneter der Grünen, kritisiert, Ministerpräsident Stanislaw Tillich habe danach vor allem auf Abwehrreaktionen gesetzt. Von Anfang an bestand laut Jennerjahn das Bemühen, den NSU als außersächsisches Problem zu definieren. Das geschah etwa, indem konsequent von einem »Thüringer Terrornetzwerk« oder dem »Thüringer Trio« die Rede gewesen sei, obwohl die Mitglieder des NSU Sachsen mehr als zehn Jahre als Ruhe- und Rückzugsraum für ihre Morde und andere schwere Straftaten genutzt hatten. Während auf Bundesebene und in Thüringen schnell über geeignete Instrumente zur Aufklärung möglichen Behördenversagens diskutiert worden sei, hätte sich die sächsische Strategie von Beginn an darauf gerichtet, diese Fragen überhaupt nicht erst aufkommen zu lassen, bilanziert Jennerjahn. Dabei besteht dringender Aufklärungsbedarf, denn die sächsischen Behörden waren in diverse Ermittlungsmaßnahmen gegen die gesuchten Rechtsterroristen involviert. 55
    Zudem wurden nach Erkenntnissen des Innenministeriums in Dresden allein in Sachsen zwischen dem 6. Oktober 1999 und dem 5. Oktober 2006 mutmaßlich zehn Banküberfälle von den Neonazi-Terroristen verübt, sieben in Chemnitz, drei in Zwickau – ohne dass die Ermittler eine Verbindung herzustellen vermochten. Mutmaßliche Unterstützer des NSU wurden sogar mit Videokameras überwacht, Zschäpe und Böhnhardt wurden wahrscheinlich auf den Aufnahmen identifiziert, und dies bereits im Jahr 2000. Zehn Morde bundesweit, zehn Banküberfälle allein in Sachsen: eine unfassbare Bilanz für polizeibekannte Rechtsextremisten – und für die Ermittlungsbehörden. »Sachsen hat alles vermieden, was hier Licht ins Dunkel bringen könnte«, meint Jennerjahn. »Weder beteiligte sich Sachsen an einer gemeinsamen Expertenkommission mit Thüringen (obwohl sich Thüringen mit diesem Vorschlag an Sachsen wandte) noch war man bereit, eine eigene Expertenkommission einzuberufen. Die Absage an solche Gremien lautete stets: Das Thema sei so groß, das könne von Sachsen aus gar nicht geleistet werden. Der Haken dabei: Wenn es explizit um das mögliche Versagen

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