Terror von Rechts
für Sprach- und Sozialforschung heißt es hingegen, das Agieren der V-Leute habe gezeigt, dass diese nicht als Agents Provocateurs gewirkt hätten, sondern es sich bei ihnen um Personen handelte, die man zu nichts anstiften könne, weil sie ohnehin zu allem bereit seien. 73
Ihre Aktivitäten hätten sich nahtlos mit dem Kurs der Partei gedeckt, und gerade wegen ihrer antisemitischen und rassistischen Hetze hätten die Agenten über Jahrzehnte das Vertrauen der Partei genossen. Deshalb wäre es auch vollkommen unsinnig, von einer Steuerung der NPD durch den Verfassungsschutz zu sprechen, heißt es weiter. Man müsse sich umgekehrt fragen, ob nicht der Verfassungsschutz von NPD-Funktionären manipuliert worden sei. Die beiden Duisburger Rechtsextremismus-Experten Martin Dietzsch und Alfred Schobert kamen in der Studie über die Tätigkeit der V-Leute zu dem Schluss, dass die Spitzel der NPD keinen Schaden zugefügt, sondern ihr im Gegenteil sogar genutzt hätten. Als Kronzeugen hierfür führten sie die ehemaligen NPD-Funktionäre Udo Holtmann und Wolfgang Frenz an.
Ex-NPD-Bundesvorstandsmitglied Frenz hatte von Anfang der sechziger Jahre bis 1995 für den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen gearbeitet. Seiner Enttarnung im Zuge des NPD-Verbotsverfahrens waren weitere gefolgt. So auch die Holtmanns, damals Chef der NPD in Nordrhein-Westfalen. Durch die Enthüllungen wurden zweifelhafte Vorgänge bekannt: So waren V-Leute offenbar an der Produktion von besonders radikalen rechtsextremen Tonträgern beteiligt. 2007 flog erneut ein V-Mann jenes Verfassungsschutzes auf. Dieser war in der internationalen Neonazi-Szene als Konzertveranstalter aktiv und in kriminelle Machenschaften verwickelt. In Sachsen wurde zudem beim Prozess gegen die Neonazi-Gruppe Sturm 34 bekannt, dass einer der führenden Köpfe ein V-Mann war. Skandale, die den Rechtsextremisten Munition liefern. Denn die argumentieren eben auch, sie seien Opfer von staatlichen Agents Provocateurs. So wird derzeit von NPD-Funktionären versucht, den NSU-Terror den Behörden anzulasten, der Nebel rund um den Verfassungsschutz bietet ausreichend Raum für Verschwörungstheorien.
Jörg Fischer-Aharon – früher selbst ein Neonazi – hatte mit einem Bekannten jahrelang den Verfassungsschutz verwirrt. Sie lieferten fast wöchentlich Berichte an den Geheimdienst, welche sie einfach aus dem Internet abgeschrieben hatten, aus frei zugänglichen Quellen, betonte Fischer. 74
Neonazis berichteten zudem, dass, nachdem ihre Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz öffentlich geworden war, sie die Honorare genutzt hätten, um NPD-Strukturen zu bilden. Das Geld habe es ihm ermöglicht, sagte beispielsweise Ex-V-Mann Frenz, die NPD in Nordrhein-Westfalen zu gründen und aufzubauen. Auch Tino Brandt, ehemaliger Anführer des Thüringer Heimatschutzes, in dem auch die Rechtsterroristen der Zwickauer Zelle aktiv waren, verkaufte Informationen an den Staat – und baute währenddessen die braunen Strukturen in Thüringen auf. Ebenso sein Kamerad Thomas Dienel, der vor laufender Kamera den Holocaust leugnete und noch hinzufügte, dass in Auschwitz leider niemand umgebracht worden sei. Dienel soll Zehntausende Euro vom Staat erhalten haben, die er als Spende für die Bewegung angesehen habe.
Der Rechtswissenschaftler Günter Frankenberg fasst zusammen: »Das Geld fließt also vom Staat über den Verfassungsschutz und die V-Leute in solche Organisationen hinein, die entweder kriminell sind oder ausländerfeindlich oder rassistisch, antisemitisch oder alles zusammen. Das ist einfach skandalös.« 75
Dennoch setzten Politik und Sicherheitsbehörden weiter auf das V-Mann-System, auch auf Führungsebene. In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage hieß es 2008, sie ziehe »einen Abzug von V-Leuten aus der NPD aus sicherheitspolitischen Erwägungen nicht in Betracht«. Dies gelte auch, wenn deren leitende Funktion »unmittelbar vor und während eines Verbotsverfahren ausdrücklich als unvereinbar mit den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren angesehen worden ist«, wie in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2003 festgestellt wurde. Medien berichten übereinstimmend, in der NPD gebe es mittlerweile noch mehr V-Leute als 2003. Und die Tatsache, dass die Innenminister der Union ein erneutes Verbotsverfahren ablehnten, weil es wegen der V-Leute wieder scheitern könnte, belegt bereits, dass der Geheimdienst weiter mit Führungskräften der
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