Terror
griff nach seinem Glas.
Im April 1843 – Frühherbst in der südlichen Hemisphäre, doch die Tage waren noch lang und warm – trafen die Erebus und die Terror wieder in Van Diemen’s Land ein.
Ross und Crozier waren erneut zu Gast im Haus des Gouverneurs. Diesmal war nicht zu übersehen, dass ein Schatten auf den beiden Franklins lag. Crozier hätte diesem Umstand kaum Beachtung geschenkt, so groß war seine Freude über das Wiedersehen mit Sophia Cracroft, doch selbst die sonst so muntere Nichte Sir Johns schien von der gedrückten Stimmung angesteckt. Offenbar war Hobart in den zwei Jahren, da ihre Schiffe im südlichen Eis gelegen hatten, zu einer Brutstätte für Verschwörungen, Verrat, heikle Enthüllungen und Krisen geworden. In den nächsten zwei Tagen im Government House erfuhr Crozier genug, um sich die Gründe für die Niedergeschlagenheit der Franklins zusammenreimen zu können.
Anscheinend hatten sich die einheimischen Grundbesitzer, vertreten von einem besonders hinterhältigen und infamen Kolonialsekretär namens John Montagu, schon sehr bald nach Beginn von Sir Johns sechsjähriger Amtszeit darauf geeinigt, dass er einfach untragbar war, genauso wie seine Frau, die freimütige und unorthodoxe Lady Jane. Von Sir John hörte Crozier nur, was er zufällig aus einer Äußerung des verzagten Gouverneurs gegenüber Kapitän Ross entnahm, als sich die drei Männer zu Weinbrand und Zigarren in die Bibliothek zurückgezogen hatten: die Einheimischen legten »einen bedauerlichen Mangel an nachbarschaftlichen Gefühlen und Gemeingeist« an den Tag.
Von Sophia erfuhr Crozier, dass Sir John, zumindest im Bewusstsein der Öffentlichkeit, eine denkbar ungünstige Entwicklung durchlaufen hatte: vom »Mann, der seine Stiefel gegessen hat« über den, wie er es selbst gern bezeichnete, »Mann, der keiner Fliege etwas zuleide tut« hin zum »Mann, der unter dem Pantoffel steht«, eine Beschreibung, die sich nur allzu schnell auf der ganzen tasmanischen Halbinsel verbreitete. Diese Verleumdung, so versicherte ihm Sophia, hatte ihre Ursache sowohl in der allgemeinen Abneigung der Kolonie gegen Lady Jane als auch in den Bemühungen der Franklins, die Lage der Eingeborenen
und Gefangenen zu verbessern, die unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten mussten.
»Sie wissen vielleicht, dass die früheren Gouverneure den Plantagenbesitzern und den Geschäftsmagnaten aus der Stadt für ihre irrsinnigen Vorhaben Gefangene ausgeliehen, ihren Anteil am Gewinn eingeschoben und ansonsten einfach den Mund gehalten haben«, erläuterte Sophia Cracroft bei einem Spaziergang im schattigen Garten des Government House. »Onkel John wollte bei diesem Spiel nicht mitmachen.«
»Irrsinnige Vorhaben?« Crozier spürte Sophias Hand auf dem Arm, während sie in gedämpftem Ton sprachen und durch die warme Abenddämmerung schritten.
»Wenn ein Plantagenbesitzer auf seinem Land eine neue Straße haben will«, erwiderte Sophia, »dann erwartet er, dass ihm der Gouverneur sechshundert oder tausend halb verhungerte Gefangene zur Verfügung stellt, die mit Ketten an den Fußgelenken und Handschellen bei dieser tropischen Hitze und ohne Wasser und Essen vom Morgengrauen bis zur Dunkelheit schuften müssen und ausgepeitscht werden, wenn sie stocken oder stolpern.«
»Gütiger Himmel!«
Sophia nickte. Ihr Blick ruhte auf den weißen Steinen des Gartenpfades. »Kolonialsekretär Montagu hat entschieden, dass die Gefangenen eine Mine ausheben sollten – obwohl auf der Insel bisher kein Gold gefunden wurde –, und so haben sie angefangen zu graben. Die Mine war schon über vierhundert Fuß tief, als das Vorhaben aufgegeben wurde – sie lief ständig voll, weil der Grundwasserspiegel hier sehr hoch ist –, und es hieß, dass in dieser abscheulichen Mine auf jedem ausgegrabenen Fuß Erde zwei bis drei Gefangene gestorben sind.«
Crozier musste sich zurückhalten, um nicht wieder mit einem »Gütiger Himmel« herauszuplatzen, doch mehr fiel ihm tatsächlich nicht ein.
Sophia fuhr fort. »Ein Jahr nach Ihrer Abreise hat Montagu, diese verschlagene Natter, Onkel John dazu überredet, einen bei den anständigen Leuten hier sehr beliebten Arzt wegen angeblicher Pflichtversäumnisse zu entlassen. Das hat die ganze Kolonie gespalten. Und alle Wut wurde auf Onkel John und Tante Jane abgeladen, obwohl sie eigentlich gegen die Kündigung des Arztes war. Ausgerechnet Onkel John muss sich so in die Nesseln setzen. Sie wissen ja, Francis, wie sehr
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