Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
und symmetrisch um die Welt wie die Streifen einer Schlange. Zwei waren gemäßigt und für den Menschen bestimmt. Der mittlere Gürtel, die Äquatorregion, war für intelligentes Leben nicht geeignet  – wenngleich die Griechen sich geirrt hatten mit der Annahme, dass dort keine Menschen leben konnten. Es waren nur keine zivilisierten Menschen, dachte Crozier, der sich vor Ort seine Meinung von Afrika und den anderen Äquatorgebieten gebildet hatte und sich sicher war, dass dort niemals etwas Nützliches entstehen würde. Die zwei Polarregionen, so hatten die Griechen geurteilt, lange bevor ein Forscher die arktischen und antarktischen Wüsteneien betrat, waren in jeder Hinsicht unmenschlich – sie waren nicht passierbar und schon gar nicht für längere Zeit bewohnbar.
    Warum also, so fragte sich Crozier, musste England, das sich glücklich schätzen konnte, in einer besonders sanften und fruchtbaren Gegend der zwei für die Menschheit bestimmten Breiten zu liegen, immer wieder Schiffe und Männer hinaus ins Eis der äußersten Pole schicken, wohin nicht einmal die pelzbekleideten Wilden ihren Fuß setzten?
    Und weshalb – da er schon über diese Frage nachgrübelte – musste ein gewisser Francis Crozier immer wieder diese furchtbaren Orte aufsuchen, im Dienste einer Nation und einer Riege von Offizieren, die seine Fähigkeiten und seinen Wert nie erkannt hatten, wenn er doch schon lange mit der Gewissheit lebte, dass er eines Tages in der polaren Kälte und Dunkelheit sterben würde?
    Der Kapitän erinnerte sich, dass er schon als kleiner Junge, bevor er mit dreizehn zur See ging, eine tiefe Schwermut mit sich herumgetragen hatte wie ein Geheimnis. Dieses melancholische Wesen hatte sich darin geäußert, dass er an einem Winterabend voller Befriedigung außerhalb seines Dorfs gestanden und dem Erlöschen der Lichter zugesehen hatte, dass er immer nach kleinen
Schlupfwinkeln zum Verstecken gesucht hatte, dass er unendliche Angst vor der Dunkelheit hatte, weil er sie als Verkörperung des Todes betrachtete, der seine Mutter und seine Großmutter auf verstohlene Weise dahingerafft hatte, und dass er sie auf krankhafte Weise gesucht und sich in den Keller geschlichen hatte, während die anderen Jungen draußen in der Sonne spielten. Crozier erinnerte sich noch gut an diesen Keller – die Kühle, den Geruch nach Moder und Feuchtigkeit, die drückende Finsternis, die düstere Gedanken in ihm hinterließ.
    Er schenkte sich sein kleines Glas voll und trank. Plötzlich stöhnte das Eis laut auf, und das Schiff antwortete, da es einen neuen Platz in der gefrorenen See finden musste, ohne ausweichen zu können. Während es noch stärker zusammengedrückt wurde, ächzte es seinerseits. Die Metallkrampen im Lastdeck zogen sich zusammen, und es knallte, als würden Pistolen abgefeuert. Die Seeleute vor dem Mast und die Offiziere achtern schnarchten weiter, da sie an die Geräusche des herandrängenden Eises gewöhnt waren. Oben an Deck stampfte der wachhabende Offizier in der minus fünfzig Grad kalten Nacht mit den Füßen auf, um seinen Blutkreislauf in Schwung zu bringen, und die vier lauten Tritte hörten sich für Crozier an wie eine erschöpfte Mutter, die dem Schiff Schweigen gebot.
    Crozier konnte sich kaum mehr vorstellen, dass Sophia Cracroft einst dieses Schiff besucht und tatsächlich in seiner Kajüte gestanden hatte, dass sie ihr Entzücken darüber zum Ausdruck gebracht hatte, wie sauber, wie ordentlich, wie gemütlich, wie gelehrt mit den vielen Bücherreihen und wie angenehm es hier aussah mit dem durch das Scheilicht einfallenden Sonnenschein.
    Es war fast auf den Tag genau sieben Jahre her, dass Crozier im November 1840 auf dem Weg in die Antarktis mit genau denselben Schiffen – Erebus und Terror  – in Van Diemen’s Land südlich von Australien eingetroffen war. In der südlichen Hemisphäre
war gerade Frühling. Die Expedition stand unter dem Kommando von Kapitän James Ross, der Croziers Freund war, jedoch in der Gesellschaft seit je einen höheren Rang bekleidete. In Hobart Town legten sie einen Zwischenhalt ein, um vor dem Aufbruch in die antarktischen Gewässer ihre Vorräte zu ergänzen. Der Gouverneur der Strafinsel, Sir John Franklin, bestand darauf, dass die beiden jungen Offiziere – Kapitän Ross und Commander Crozier – während ihres Aufenthalts im Government House wohnten.
    Es war eine bezaubernde und für Crozier eine in romantischer Hinsicht verhängnisvolle Zeit.
    Der

Weitere Kostenlose Bücher