Terror
einem Wiedersehen mit Sophia Cracroft.
Wieder nahm er einen Schluck Whiskey. Kaum hörbar durch das Deck und den Schnee schlug über ihm die Schiffsglocke sechs Glasen.
Sir Johns Tod vor fünf Monaten hatte den Männern leidgetan – vor allem weil sie wussten, dass das Versprechen von zehn Gold-Sovereigns und der Verdoppelung des Handgelds zusammen mit dem beleibten alten Mann gestorben war. Doch eigentlich änderte sich danach nicht viel. Commander Fitzjames war jetzt als der Kapitän der Erebus anerkannt, der er in Wirklichkeit von Anfang an gewesen war. Leutnant Le Vesconte, dessen Goldzahn beim Lächeln aufblitzte, hatte mit dem Arm in der Schlinge Graham Gores Platz in der Rangfolge eingenommen,
und auch dieser Wechsel hatte sich völlig reibungslos vollzogen. Kapitän Francis Crozier hatte nun das Amt des Expeditionskommandanten inne, aber da die Schiffe vom Eis eingeschlossen waren, konnte er kaum anders handeln, als Franklin es getan hätte.
Doch wenigstens eine Maßnahme ergriff er umgehend: Er ließ mehr als fünf Tonnen Ausrüstung über das Eis zu einem Punkt unweit des Ross-Steinmals auf King-William-Land schaffen. Inzwischen waren sie fast sicher, dass es sich um eine Insel handelte, da Crozier ungeachtet der Bedrohung durch das Bärenungeheuer Schlittentrupps ausgesandt hatte, um die Gegend zu erkunden. An einem halben Dutzend der ersten Fahrten nahm er sogar selbst teil und half mit, leichtere oder zumindest weniger abschreckende Schneisen durch die Pressrücken und die Eisbergbarriere an der Küste zu schlagen. Sie schleppten Plünnen, Zelte, Holz für zukünftige Hütten, Fässer mit gedörrten Lebensmitteln, Hunderte von Konservenbüchsen, Blitzableiter – sogar Streben aus Sir Johns nicht mehr benötigtem Messingbett, um daraus weitere Blitzableiter zu bauen – und andere wichtige Gegenstände mit, die die Mannschaften brauchten, falls die Schiffe im kommenden Winter aufgegeben werden mussten.
Drei Männer wurden in diesem Sommer von dem Wesen aus dem Eis verschleppt, das sich seine Opfer während einer der Schlittenfahrten einfach aus einem Zelt holte. Aber nicht dieses Ereignis brachte die Transporte Mitte August zum Erliegen, sondern heraufziehender Nebel mit starken Gewittern. Über drei Wochen lang saßen die Schiffe im dichten Dunst und wurden von wütenden Blitzen belagert. Nur noch kurze Ausflüge aufs Eis zum Jagen und zum Erneuern der Feuerlöcher waren gestattet. Als dann der launenhafte Nebel und das Unwetter endlich abzogen, brach bereits der September mit Schnee und Kälte an.
Trotz des furchtbaren Wetters schickte Crozier sogleich wieder Schlittentrupps nach King-William-Land, doch schon auf einer der ersten Fahrten wurde der Zweite Steuermann Gillies
MacBean nur wenige Faden vor den drei Schlitten getötet. Wegen des Schneegestöbers konnten die anderen Männer und der verantwortliche Offizier des Trupps, der Zweite Leutnant Hodgson, nicht sehen, wie es geschah. Dafür gellten ihnen die Todesschreie umso lauter in den Ohren.
Danach ließ Crozier die Transportfahrten »vorläufig« aussetzen. Dieser Zustand dauerte nun schon seit zwei Monaten an, und spätestens seit dem ersten November hatte kein Seemann, der noch bei Trost war, mehr Lust auf einen acht- bis zehntägigen Schlittenausflug in die abgrundtiefe Dunkelheit.
Crozier war sich darüber im Klaren, dass er nicht nur fünf, sondern mindestens doppelt so viele Tonnen Ausrüstung nach King-William-Land hätte schaffen müssen. Doch eines Nachts hatte das Ungeheuer das Zelt neben dem des Kapitäns aufgeschlitzt und hätte sicher die Matrosen Kinnaird und Bates verschleppt, wenn diese nicht um ihr Leben gerannt wären. Crozier konnte sich der Erkenntnis nicht verschließen, dass ein Lager auf diesem flachen, windgepeitschten Gelände voller Geröll und Eis nicht zu verteidigen war. Solange die Schiffe noch hielten, waren der Rumpf und das Deck wie die Mauern einer Festung, die zumindest einen gewissen Schutz boten. Auch wenn die Zelte draußen auf dem Geröll dicht beieinanderstanden, musste der Platz von wenigstens zwanzig Mann Tag und Nacht bewacht werden, und selbst dann konnte das Geschöpf mitten unter ihnen aus dem Eis brechen, ehe die Posten reagierten. Das wussten alle, die einmal nach King-William-Land gefahren waren und dort gelagert hatten. Und je länger die Nächte wurden, desto tiefer setzte sich die Furcht vor diesen Stunden im Zelt in den Männern fest – genau wie die arktische Kälte.
Crozier
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