Terror
der schneebeladenen, bedrohlich durchhängenden Persenning über der Luke ein Trupp von fünf Männern mit Äxten zugange war. Irving kämpfte sich durch den zähen Nebel und den Laternenrauch unter der Segeltuchpyramide, auf der Suche nach einem Mann an Deck, der keine Axt schwang.
Dem trüben Schimmer einer Laterne backbord folgend, stieß er schließlich auf den Backsgast Reuben Male, der als wachhabender Unteroffizier zugleich die Aufsicht über den Arbeitstrupp hatte.
Male war nur noch ein schneebedeckter Wollhügel. Selbst sein Gesicht war verborgen unter dicken Schalschichten, die eine behelfsmäßige Kapuze bildeten. Die Schrotflinte in seiner Armbeuge war mit Eis überzogen. Beide Männer mussten schreien, um sich miteinander zu verständigen.
»Haben Sie was gesehen, Mr. Male?« Leutnant Irving beugte sich ganz nahe an den dicken Wollturban, hinter dem sich der Kopf des Backsgasts verbarg.
Der kleinere Mann zog den Schal ein wenig nach unten. Seine Nase war so weiß wie ein Eiszapfen. »Sie meinen die Eistrupps,
Sir? Sobald sie über den ersten Spieren sind, sehe ich sie nicht mehr, ich kann nur die Ohren offenhalten. Ich hab die Backbordwache von dem jungen Kinnaird übernommen. Er war während der Morgenwache bei einem Schaufeltrupp dabei und ist noch immer nicht richtig aufgetaut, Sir.«
»Nein, ich meine auf dem Eis«, rief Irving.
Males Lachen klang gedämpft. »Keiner von uns hat in den letzten achtundvierzig Stunden bis zum Eis gesehen, Leutnant Irving. Das wissen Sie selbst. Sie waren doch vorhin erst hier draußen.«
Irving nickte und wickelte sich seinen Schal fester um Gesicht und Stirn. »Und Silence … Lady Silence?«
»Was sagen Sie, Sir?« Male lehnte sich vor, seine Flinte wie eine Säule aus eisglattem Metall und Holz zwischen ihnen.
Irvings Stimme wurde noch lauter. »Lady Silence?«
»Nein, Sir. Soviel ich weiß, hat die Eskimofrau schon seit Tagen keiner mehr zu Gesicht bekommen. Sie muss verschwunden sein, Sir. Wahrscheinlich liegt sie tot irgendwo da draußen. Nicht schade drum, wenn Sie mich fragen.«
Irving nickte und klopfte Male mit seinem klobigen Fäustling auf die Schulter. Vorsichtig den Großmast umrundend, von dem riesige Eisbrocken herabstürzten und auf dem Deck wie Granaten zerplatzten, machte er sich auf den Weg um den Achtersteven, um mit John Bates zu sprechen, der auf der Steuerbordseite Wache stand.
Auch Bates hatte nichts bemerkt. Nicht einmal die fünf Männer des Trupps, die sich mit ihren Äxten an die Arbeit gemacht hatten.
»Vielmals um Entschuldigung, Sir, aber ich hab keine Uhr nich, und ich hab Angst, dass ich die Glocke nich hör bei dem Gehacke und dem Geheule vom Wind und dem Krachen vom Eis, Sir. Dauert die Wache noch lang?«
»Du hörst die Glocke schon, wenn Mr. Male sie anschlägt.«
Irving richtete seine Worte dorthin, wo er hinter Woll- und Eisschichten das Ohr des sechsundzwanzigjährigen Matrosen vermutete. »Außerdem schaut er sowieso nach dir, bevor er unter Deck geht. Rühren, Bates.«
»Aye aye, Sir.«
Als Irving zur Vorderseite der Segeltuchplane stapfte, hätte ihn der Wind fast von den Beinen gerissen. Er wartete, bis der Regen aus Eisstücken etwas nachließ und er von oben die Schreie und Flüche der Männer in den surrenden Wanten hörte. Dann kämpfte er sich so schnell wie möglich durch den zwei Fuß hohen Neuschnee auf dem Deck, duckte sich unter die gefrorene Plane und stieg durch die Luke hinunter zum Niedergang.
Natürlich hatte er die unteren Decks schon mehrmals durchsucht – vor allem bei den Kisten in der Vorpiek, wo die Eskimofrau bisher ihren Lagerplatz gehabt hatte. Aber jetzt wandte sich Irving nach achtern. Um diese späte Stunde war es vergleichsweise still auf dem Schiff. Man hörte nur das Stampfen der Männer und das Krachen der Eisbrocken an Deck, das Schnarchen der erschöpften Matrosen in ihren Hängematten vor dem Mast, Mr. Diggles Scheppern und Schimpfen aus der Richtung des Herdes und das allgegenwärtige Heulen des Windes und Mahlen des Eises.
Irving tastete sich auf dem schmalen Kajütgang voran. Hier hinter dem Mast waren alle Kojen besetzt, mit Ausnahme von der des Zweiten Steuermanns Gillies MacBean, der dem Ungeheuer aus dem Eis zum Opfer gefallen war. Die HMS Terror hatte in dieser Hinsicht mehr Glück gehabt als die HMS Erebus , die mit Sir John und Leutnant Gore bereits zwei hochrangige Offiziere verloren hatte.
In der Großen Kajüte war niemand. Es war nur noch selten so warm,
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