Terror
Stehen, sondern eine ganze Nacht bis zum Morgen in dem angenehmen Dachzimmer eines Gasthofs mit Blick auf den Kai. Diese Begegnung weckte bei dem jungen John Irving eine Lust an körperlichen Freuden, der er später noch viele Male frönen sollte.
Und Irving hatte bei den Damen der feineren Gesellschaft nicht weniger Glück. Er umwarb die Tochter der drittwichtigsten Familie Bristols, der Dunwitt-Harrisons, und das Mädchen hatte Intimitäten zugelassen und sogar eingeleitet, für die sich die meisten Männer seines Alters einen Finger abgeschnitten hätten. Nach seiner Ankunft in London, wo er auf dem Schulschiff HMS Excellent seine Ausbildung zum Geschützoffizier vollenden sollte, lernte Irving an den Wochenenden mehrere anziehende junge Damen der feinen Gesellschaft kennen, denen er den Hof machte und deren Gunst er genoss: unter anderem die sehr entgegenkommende Miss Sarah, die schüchterne, aber letztlich umso erstaunlichere Miss Linda und die – unter Ausschluss der Öffentlichkeit – wahrhaft schockierende Miss Abigail Elisabeth Lindstrom Hyde-Berrie, mit der sich der junge Leutnant mit dem frischen Gesicht bald verlobt sah.
Doch John Irving hatte nicht die Absicht, zu heiraten. Zumindest nicht, solange er noch nicht dreißig war – sowohl sein Vater als auch sein Onkel hatten ihm beigebracht, dass dies die Jahre waren, in denen man sich die Welt anschaute und sich die Hörner abstieß. Und auch nicht vor seinem vierzigsten Geburtstag. Tatsächlich sah er keinen zwingenden Grund, sich vor seinem
fünfzigsten Lebensjahr zu verehelichen. So kam es, dass sich Irving einer Entdeckungsexpedition anschloss. Zwar hatte er derlei nie in Erwägung gezogen, weil er kaltes Wetter nicht mochte und die Vorstellung, irgendwo an einem der Pole im Eis eingeschlossen zu sein, absurd und entsetzlich fand. Doch in der Woche nach seiner unvermuteten Verlobung folgte der Dritte Leutnant den Ermunterungen seiner älteren Kameraden George Hodgson und Fred Hornby und bewarb sich wie sie um eine Versetzung auf die HMS Terror.
Kapitän Crozier, der an diesem wunderschönen Frühlingsvormittag offensichtlich unter einem schweren Kater litt, gab sich äußerst ungnädig und griesgrämig. Mit finsterer Miene und gewichtigem Räuspern nahm er sie ins Gebet. Er lachte über ihre Geschützoffiziersausbildung auf einem mastlosen Schiff und wollte wissen, wie sie sich auf einem Forschungsschiff nützlich zu machen gedachten, das nur Büchsen und Flinten mit sich führte. Schließlich fragte er sie, ob sie bereit waren, »ihre Pflicht als Engländer zu tun«. Irving wusste noch, dass er damals nicht so recht verstanden hatte, was diese Phrase bedeuten sollte, da die betreffenden Engländer aller Voraussicht nach zeitweise im Eis eingeschlossen sein würden. Dann teilte ihnen Crozier ohne Umschweife ihre Kojen zu.
Miss Abigail Elisabeth Lindstrom Hyde-Berrie war natürlich bestürzt darüber, dass sich ihre Verlobung monate-, wenn nicht sogar jahrelang hinziehen sollte, doch Leutnant Irving beschwichtigte sie mit der Beteuerung, dass nicht nur sein Lohn von der Royal Navy eine absolute Notwendigkeit sei, sondern auch der Ruhm, den er durch das Verfassen eines Buchs über seine Abenteuer zu erlangen hoffte. Ihre Eltern verstanden diese Beweggründe viel besser als Miss Abigail. Als sie schließlich allein waren, half er ihr mit Umarmungen, Küssen und gekonnten Liebkosungen über ihre Tränen hinweg. Die Sache steigerte sich zu ungeahnten Höhen, und Leutnant Irving wusste, dass
er inzwischen, zweieinhalb Jahre nach dieser Tröstung, gut und gerne Vater sein konnte. Dennoch war er nicht unglücklich gewesen, Miss Abigail zum Abschied zuzuwinken, als die Terror einige Wochen später die Anker lichtete und von zwei Dampfschleppern aus dem Hafen gezogen wurde. Die unglückliche junge Dame stand in ihrem grün- und rosafarbenen Seidenkleid unter einem ebenso rosafarbenen Sonnenschirm und schwenkte ihr passendes seidenes Taschentuch, während sie mit einem weniger teuren Baumwolltaschentuch ihre reichlich fließenden Tränen trocknete.
Er wusste, dass Sir John damit gerechnet hatte, nach der Durchschiffung der Nordwestpassage russische und chinesische Häfen anzulaufen, und Leutnant Irving hatte die Absicht, sich auf ein dort stationiertes Schiff der Royal Navy versetzen zu lassen oder vielleicht sogar ganz aus der Navy auszuscheiden, sein Abenteuerbuch zu schreiben und sich um die Seiden- und Modewarenfabriken seines Onkels in Shanghai zu
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