Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons

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Sodomiten … etwa bedrohen? Die vorgeschriebene Strafe für Sodomie auf einem Schiff der Royal Navy war Hängen. Nur wenn der Kapitän große Milde walten ließ, erhielten die Übeltäter zweihundert Hiebe mit der neunschwänzigen Katze und wurden dabei quer durch die Flotte geprügelt – im wahrsten Sinne des Wortes von einem Schiff im Hafen zum nächsten.
    »Wie könnt ihr es wagen?« Irving wusste selbst nicht genau, ob er von Mansons drohender Haltung oder von ihrer widernatürlichen Tat sprach.
    »Entschuldigen vielmals, Leutnant Irving«, zwitscherte Hickey mit seinem Liverpooler Akzent. »Mr. Diggle hat uns um Mehl geschickt, Sir. Auf einmal is Manson eine von diesen verdammten Ratten ins Hosenbein gehüpft, Sir. Und da ham wir versucht, sie wieder rauszukriegen. Richtige Drecksviecher, diese Ratten.«
    Irving wusste, dass Mr. Diggle noch nicht mit dem nächtlichen Backen begonnen und dass der Smutje völlig ausreichende Mehlvorräte in seinem Lager oben im Unterdeck hatte. Hickey machte sich also nicht einmal die Mühe, sich eine überzeugende Lüge auszudenken. Die verschlagenen Augen des kleinen Mannes erinnerten Irving an die Ratten, die überall in der Dunkelheit herumhuschten.

    »Es wäre nett, wenn Sie es niemand weitersagen würden, Sir«, fuhr der Kalfaterersmaat fort. »Magnus wär’s gar nich recht, wenn sich die andern über ihn lustig machen, weil er Angst vor einer Ratte im Hosenbein gehabt hat.«
    Aus diesen Worten sprach Respektlosigkeit. Und eine Herausforderung. Fast ein Befehl. Der kleine Mann strahlte eine beinah greifbare Dreistigkeit aus, während Manson nur mit leeren Augen danebenstand, blöd wie ein Lasttier, und mit leicht vorgestreckten Händen auf den nächsten Befehl seines zwergenhaften Schandgesellen wartete.
    Das Schweigen zog sich hin. Von außen drückte ächzend das Eis gegen das Schiff. Planken knarrten. Ganz in der Nähe raschelten Ratten.
    Schließlich fand Irving seine Sprache wieder. »Raus hier. Und zwar sofort.«
    »Aye aye, Sir. Danke, Sir.« Hickey öffnete eine kleine Laterne, die hinter ihm auf dem Boden gestanden hatte. »Komm, Magnus.«
    Hastig kletterten die zwei Männer die schmale Leiter hinauf ins Orlopdeck.
    Mehrere Minuten lang verharrte Leutnant Irving an Ort und Stelle und lauschte dem Greinen und Knacken des Schiffs, ohne es zu hören. Das Jaulen des Schneesturms klang wie ein ferner Trauergesang.
    Wenn er diesen Vorfall Kapitän Crozier meldete, würde dieser kurzen Prozess mit ihnen machen. Doch Manson, der Dorftrottel der Expedition, war bei der Mannschaft beliebt, auch wenn ihn die Seeleute wegen seiner Angst vor Geistern und Kobolden hänselten. Der Hüne erledigte die schwere Arbeit von drei seiner Maaten. Hickey war zwar nicht besonders wohlgelitten bei den anderen Unteroffizieren, aber die einfachen Matrosen schätzten an ihm die Fähigkeit, seinen Freunden zusätzlichen Tabak oder Rum oder ein benötigtes Kleidungsstück zu besorgen.

    Hängen würde wohl keiner der beiden, überlegte Irving, doch seit einiger Zeit war der Kapitän ganz besonders übler Laune, und es waren drastische Bestrafungen zu erwarten. Alle Mann an Bord wussten, dass der Kapitän erst vor wenigen Wochen damit gedroht hatte, Manson zur rattenzerfressenen Leiche seines Maats Walker in die Totenkammer zu sperren, wenn der schwachsinnige Riese sich jemals wieder weigerte, Kohlensäcke aus der Last zu holen. Sicher wäre es keine Überraschung, wenn er diese Drohung nun in die Tat umsetzen würde.
    Andererseits, dachte der Leutnant, was genau hatte er denn gerade gesehen? Was konnte er mit der Hand auf der Bibel beschwören, falls es wirklich zu einer Untersuchung kam? Er hatte keine widernatürliche Unkeuschheit beobachtet. Er hatte die beiden Sodomiten nicht beim Verkehr oder … einer anderen unzüchtigen Handlung ertappt. Irving hatte ein Atmen und Keuchen und dann ein besorgtes Flüstern gehört, als er mit seiner Laterne näher kam, und schließlich gesehen, wie die beiden hastig ihre Hosen hochzogen und ihre Hemden in den Bund stopften.
    Unter gewöhnlichen Umständen reichte das, um beide oder einen von ihnen an den Galgen zu bringen. Aber hier, wo sie im Eis eingeschlossen waren und vielleicht noch Monate und Jahre warten mussten, bis Rettung kam?
    Zum ersten Mal seit vielen Jahren hätte sich John Irving am liebsten hingesetzt und geweint. Nicht nur, dass sie sich in einer äußerst bedrohlichen Lage befanden, jetzt musste er auch noch eine folgenreiche