Terror
hatte sie erlegt?
Die einzigen Lebewesen dort draußen auf dem Eis und unter dem Eis waren die weißen Bären und das Ungeheuer, das den Männern der Erebus und Terror nachstellte.
Irving schoss ein grässlicher Gedanke durch den Kopf. Kurz war er sogar versucht, umzukehren und noch einmal das Schloss der Totenkammer zu überprüfen.
Dann fiel ihm etwas noch Abscheulicheres ein.
Nur die Hälfte der Leichen von William Strong und Thomas Evans war gefunden worden.
In seinem verzweifelten Versuch, möglichst schnell ins spärliche Licht des Unterdecks zurückzufinden, schlitterte Leutnant John Irving über Eis und Matsch auf den mittleren Niedergang zu. Nur mit Mühe gelang es ihm, einen Sturz zu vermeiden.
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Goodsir
70°05′ NÖRDLICHE BREITE | 98°23′ WESTLICHE LÄNGE
20. NOVEMBER 1847
Aus dem persönlichen Tagebuch
von Dr. Harry D. S. Goodsir:
Samstag, den 20. November 1847
Wir verfügen nicht mehr über genügend Victualien, um einen weiteren Winter und Sommer im Eise zu überstehen.
Dabei dürfte dies keineswegs so seyn. Sir John hatte die zwey Schiffe mit Vorräthen ausgerüstet, welche bei außerordentlich reichen Rationen für alle Mann auf drey Jahre, bei verminderten, aber selbst für schwer arbeitende Seeleute noch hinreichenden Zutheilungen auf fünf Jahre und bei starker, wiewohl nicht lebensbedrohlicher Einschränkung gar auf sieben Jahre berechnet waren. Nach Sir Johns Calculationen – und auch denen seiner Schiffscapitaine Crozier und Fitzjames – hätten die HMS Erebus und Terror ein Auslangen bis zum Jahre 1852 haben müssen.
Statt dessen jedoch werden unsere Lebensmittel schon im kommenden Frühjahr aufgezehrt seyn. Und sollte uns dies zum Verhängniß werden, so trägt allein mörderische Habgier die Schuld daran.
Schon seit längerem richtete sich Dr. MacDonalds Argwohn gegen unsere Conservenvorräthe, und so theilte er mir nach Sir Johns Tod endgültig
seine Besorgniß in diesem Puncte mit. Die Widrigkeiten, welche wir auf unserer ersten Fahrt nach King-William-Land im vergangenen Sommer durch verdorbene und giftige Conserven auszustehen hatten, bestätigten überdies seinen Verdacht, da selbige Büchsen aus tieferen Lagerbeständen unter Deck entnommen worden waren. Im October suchten wir vier Wundärzte bei Capitain Crozier und Commander Fitzjames um die Erlaubniß an, eine vollständige Inventur vornehmen zu dürfen. Zu viert machten wir uns an diese Aufgabe, sobald wir die Bewilligung dazu erhalten hatten. Zu unserer Hülfe waren mehrere Seeleute abgestellt, welche auf dem Unterdeck, auf dem Orlop und in der Last beider Schiffe Hunderte von Kisten, Fässern und schweren Büchsen verschieben und nach unseren Anweisungen ausgewählte Proben kosten mußten. Um allem Irrthum vorzubeugen, führten wir die Inventur zwey Mal durch.
Mehr als die Hälfte unserer conservirten Victualien ist ungenießbar.
Vor drey Wochen legten wir beiden Capitainen in Sir Johns großer ehemaliger Kajüte das Ergebniß unserer Untersuchungen dar. Fitzjames, obzwar seinem officiellen Range nach immer noch Commander, wird von Crozier, welcher der neue Expeditionsführer ist, mit dem Titel eines Capitains angeredet, und die anderen Officiere folgen diesem Beispiel. An dem geheimen Treffen nahmen nur wir vier Ärzte sowie Fitzjames und Crozier Theil.
Capitain Crozier, welcher immerhin Ire ist, wie ich fortan wohl kaum mehr vergessen werde, bekam einen Wuthanfall von solcher Schrecklichkeit, wie ich es noch nie erlebt hatte. Er verlangte eine volle Erklärung, als hätten wir Medici die Verantwortung für die Vorräthe und Victualien der Expedition zu tragen. Fitzjames hingegen hatte schon von Anfang an Zweifel gehegt, ob es bei den Speisen und dem Fabrikanten, welcher sie in Büchsen conservirt hatte, mit rechten Dingen zugehe. Freilich scheint er das einzige Mitglied der Expedition und der Admiralität zu seyn, das solche Vorbehalte geäußert hat. Crozier indeß wollte nicht glauben, daß solch ein verbrecherischer Betrug gegen Schiffe der Royal Navy verübt worden sey.
John Peddie, der Schiffsarzt der Terror , besitzt von uns vier Medicinern die größte Diensterfahrung auf See, jedoch brachte er die meisten Jahre
davon – übrigens zusammen mit Croziers Bootsmann John Lane – an Bord der HMS Mary im mittelländischen Meere zu, woselbst nur ein geringes Quantum der Schiffsvorräthe aus Conserven bestand. Auch mein Vorgesetzter auf der Erebus , der Chirurgus Stephen Stanley,
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