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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Nanking teil, der die Kapitulation der Chinesen besiegelte. Im jugendlichen Alter von dreißig Jahren zum Commander befördert,
wurde dem verheißungsvollen Offizier der Befehl über die Korvette HMS Clio übertragen, und eine strahlende Zukunft tat sich vor ihm auf.
    Doch 1844 endeten die Opiumkriege, und wie es verheißungsvollen jungen Offizieren bei der Royal Navy oft erging, wenn plötzlich ein verräterischer Frieden ausbrach, war Fitzjames auf einmal ohne Kommando und mit halbem Lohn an Land gestrandet. War das Angebot des Arktischen Rats zur Übernahme der Expeditionsleitung an Sir John Franklin für den in Verruf geratenen alten Mann ein Geschenk des Himmels, so musste auch Fitzjames das Kommando über die HMS Erebus als glänzende zweite Chance verstehen.
    Doch jetzt hatte der stattlichste Mann der Navy seine rosigen Wangen und seinen überschwänglichen Humor verloren. Während die meisten Offiziere und Seeleute auch bei Zwei-Drittel-Rationen ihr Gewicht hielten, weil die Teilnehmer an Arktisexpeditionen ohnehin eine reichere Kost bekamen als der größte Teil der englischen Bevölkerung an Land, hatte der Commander und jetzige Kapitän dreißig Pfund abgenommen. Die Uniform schlotterte um seinen Leib. Seine knabenhaften Locken hingen schlaff unter dem Hut oder der Welsh Wig hervor. Und sein früher immer ein wenig pausbäckiges Gesicht wirkte im Licht der Öllampen verhärmt, bleich und hohlwangig.
    Nach außen hin hatte sich an dem Benehmen des Commanders, einer Mischung aus bescheidenem Humor und sicherer Autorität, nichts geändert, aber wenn nur Crozier zugegen war, zeigte sich Fitzjames einsilbig, lächelte wenig und sah oft zerstreut und niedergeschlagen aus. Für einen Melancholiker wie Crozier waren dies eindeutige Zeichen. Manchmal glaubte er fast in einen Spiegel zu blicken, bis auf die Tatsache, dass das schwermütige Gesicht, das ihn anstarrte, einem vornehm lispelnden englischen Gentleman gehörte und nicht einem irischen Niemand.

    Am Freitag, den 3. Dezember, lud Crozier eine Flinte und machte sich allein auf den Weg durch die kalte Finsternis zwischen der Terror und der Erebus. Wenn ihn das Ungeheuer holen wollte, half ihm auch eine mehrköpfige Eskorte nichts. Das hatte Sir Johns Tod bewiesen.
    Crozier kam unbehelligt an.
    Er und Fitzjames besprachen sich über die Situation: die Moral der Männer, die Forderung nach einem Gottesdienst, die verbliebenen Konservenbestände und die Notwendigkeit, nach Weihnachten eine strenge Rationierung zu verhängen. Sie stimmten darin überein, dass eine gemeinsame Messe am kommenden Sonntag von Nutzen sein konnte.
    Da es auf den Schiffen keine Geistlichen und auch keine selbsternannten Seelsorger gab – beide Rollen hatte bis zum Juni Sir John wahrgenommen –, mussten beide Kapitäne eine Predigt halten.
    Crozier hasste dergleichen mehr als einen Besuch beim Hafenzahnarzt, doch er wusste, dass es keine andere Möglichkeit gab.
    Die Stimmung der Seeleute hatte einen gefährlichen Punkt erreicht. Leutnant Edward Little, Croziers Erster Offizier, hatte berichtet, dass die Männer auf der Terror aus den Klauen und Zähnen der im Sommer erlegten Polarbären Halsketten und andere Fetische angefertigt hatten. Und Leutnant Irving hatte schon vor mehreren Wochen gemeldet, dass sich Lady Silence im Kabelgatt verkrochen hatte und dass die Männer seit einiger Zeit Teile ihrer Rum- und Essensrationen in die Last brachten, als wollten sie einer Hexe oder Heiligen Opfer darbringen und ihre Fürbitte erflehen.
    »Ich habe über deinen Ball nachgedacht«, bemerkte Fitzjames, als sich Crozier schon zum Gehen bereitmachte.
    »Meinen Ball?«
    »Du weißt schon, dieser Große Venezianische Karneval, den
Hoppner veranstaltet hat, als du damals mit Parry im Eis überwintert hast. Wo du als schwarzer Lakai gegangen bist.«
    »Und was ist damit?« Crozier wickelte sich seinen Schal um Hals und Gesicht.
    »Sir John hatte drei große Kisten voller Masken, Kleider und Kostüme. Ich habe sie bei seinen persönlichen Habseligkeiten gefunden.«
    »Tatsächlich?« Crozier war erstaunt. Dass ausgerechnet dieser alternde Schwadroneur, der am liebsten sechsmal pro Woche einen Gottesdienst abgehalten hätte und der trotz seines häufigen Lachens die Witze anderer grundsätzlich nie verstanden hatte, ganze Koffer voll alberner Kostüme mitgeschleppt haben sollte wie damals der theaterverliebte Parry, wollte ihm nicht so recht in den Kopf.
    Fitzjames bestätigte seine Gedanken. »Die

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