Terror
und Magnus dem Trupp zugeteilt wurden, der unter Irving an den entlegensten Wegmalen arbeitete.
Die Seesoldaten waren meistens außer Sichtweite, angeblich jederzeit bereit, bei einem Alarm herbeizustürmen, doch in Wirklichkeit suchten sie nur die Wärme des lodernden Feuers in der Kohlenpfanne, die man vor dem höchsten Pressrücken eine knappe Viertelmeile vom Schiff entfernt aufgestellt hatte. In Leutnant Irvings Trupp waren an diesem Vormittag auch John Bates und Bill Sinclair eingeteilt. Die zwei befreundeten Maaten waren recht faul und entzogen sich gern dem Blick des jungen Offiziers, um in der ihnen genehmen Geschwindigkeit an einem Wegmal zu arbeiten.
Der Tag war zwar dunkel wie die Nacht, doch mit vielleicht minus vierzig Grad im Freien nicht mehr ganz so kalt wie noch vor kurzem und fast windstill. Es gab keinen Mond und auch kein Polarlicht, aber die bebenden Sterne am Morgenhimmel schienen so hell, dass ein Mann, der sich aus dem Lichtkreis einer Fackel entfernte, mühelos wieder zurückfand. Da sich das Wesen aus dem Eis immer noch in der Dunkelheit herumtrieb, wagten sich die meisten Männer ohnehin nicht weit weg. Allerdings bestand ihre Arbeit unter anderem darin, passende Eisstücke und -blöcke zu finden, mit denen sie die fünf Fuß hohen Wegmale ausbessern oder vergrößern konnten, und dies brachte
es mit sich, dass sie immer wieder aus dem Lichtkreis der Fackeln traten.
Irving überwachte jeweils die Arbeiten an zwei Malen und fasste häufig auch selber mit an. Hickey musste nur warten, bis Bates und Sinclair hinter einer Kurve des Pfades durch die Eiszinken verschwunden waren und der junge Leutnant nicht aufpasste.
Der Kalfaterersmaat hätte natürlich eines der hundert Eisen oder Stahlgeräte von der Terror verwenden können, denn ein Schiff der Royal Navy war eine wahre Fundgrube für raffinierte Mordwaffen. Doch es war ihm lieber, wenn Magnus den blonden Laffen einfach am Kragen packte, ihn zehn Faden weit hinaus ins Eis schleifte und ihm das Genick brach. Erst wenn er wirklich mausetot war, sollte er dem feinen Pinkel die Kleider vom Leib reißen, die Rippen eintreten, das Gesicht mit den rosigen Bäckchen und die Zähne einschlagen, einen Arm und zwei Beine (oder zwei Arme und ein Bein) brechen und die Leiche so im Eis liegen lassen. Den Schauplatz hatte Hickey schon ausgewählt: ein Feld hoch aufragender Eiszacken ohne Schnee auf dem Boden, wo Manson keine Stiefelabdrücke hinterlassen würde. Er hatte ihm eingeschärft, das Blut des Leutnants nicht an Hände oder Kleider zu bekommen, keine Spuren zu hinterlassen und vor allem den Mann nicht auszurauben.
Das Wesen aus dem Eis hatte seine Opfer auf bestialische und immer wieder andere Weise ermordet. Wenn die Verletzungen des armen Leutnants grausig genug waren, würde sich niemand an Bord der beiden Schiffe lange den Kopf darüber zerbrechen, was passiert war. Leutnant John Irving würde einfach wie die anderen als segeltuchumwickelte Leiche hinunter in die Totenkammer der Terror wandern.
Magnus Manson war kein geborener Mörder – nur ein geborener Schwachkopf –, aber er hatte für seinen Herrn und Meister, den Kalfaterersmaat Cornelius Hickey, schon öfter Menschen
umgebracht. Es machte ihm nichts aus, es wieder zu tun. Hickey bezweifelte, ob sich Magnus überhaupt fragen würde, warum der Leutnant sterben musste. Für ihn war das einfach ein Befehl, den er zu befolgen hatte.
Umso überraschter war Hickey, als ihn der Hüne außer Hörweite von Leutnant Irving beiseitezog und ihm mit gequälter Stimme zuflüsterte: »Sein Geist tut mich aber nich verfolgen, oder, Cornelius?«
Hickey klopfte seinem Kumpan auf die Schulter. »Natürlich nicht, Magnus. Ich würd dich doch nie was machen lassen, wo dich dann ein Geist verfolgt, mein Schatz.«
»Natürlich.« Manson nickte eifrig. Das wilde Haar und der Bart schienen förmlich unter dem Wollschal und der Welsh Wig hervorzuspringen. Seine Stirn legte sich in schwere Sorgenfalten. »Aber warum tut er mich denn nich verfolgen, Cornelius? Wo ich ihn doch abmurks und gar nix gegen ihn hab und alles?«
Hickey überlegte fieberhaft. Bates und Sinclair waren unterwegs zu einem Arbeitstrupp der Erebus , der gerade an einer zehn Faden breiten Lichtung, wo immer der Wind blies, einen Schneezaun errichtete. Hier hatten sich schon mehrere Leute in einem Schneesturm verirrt, und die Kapitäne waren der Meinung, dass die Boten im Schutz eines solchen Zauns mehr Chancen hatten, das nächste
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