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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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maskierte Gestalten drängten sich um das Gefäß, und einige tauchten Schnäbel oder Reißzähne hinein, um sich einen tiefen Schluck zu gönnen.
    Erschrocken stellte Crozier fest, dass aus dem fünften Teil des Gemächergewirrs laute Musik drang. Eine weitere Rechtskurve brachte ihn in ein Zimmer, an dessen weißen Segeltuchwänden mit Tüchern verhängte Kisten und Stühle aus den Offiziersmessen aufgestellt worden waren. Am entfernten Ende des Raumes kurbelte eine phantastisch kostümierte Gestalt an der längst vergessenen Drehorgel aus der Großen Messe der Terror und brachte mit den großen Metallplatten des Apparats Varietélieder zum Erklingen. Aus irgendeinem Grund wirkte die Musik hier draußen auf dem Eis viel lauter.
    Aus dem sechsten Gemach drängte jetzt eine Gruppe Feiernder herein; Crozier schritt an dem Drehorgelspieler vorbei und gelangte nach einer scharfen Linksbiegung in ein violettes Zimmer.
    Der Seemannsblick des Kapitäns strich beifällig über das Tauwerk, das sich von aufgerichteten Ersatzspieren zu einem mitten in der Luft hängenden Rundholz zog, und über die dicken Trossen, die von diesem mittleren Rundholz zu hoch in der Wand des Eisbergs hängenden Ankern verliefen. Auch die Taue aus den anderen sechs Gemächern nahmen hier ihren Anfang. Anscheinend hatten die Takler der Erebus und der Terror , die diesen Irrgarten mit sieben Gemächern entworfen hatten, die Gelegenheit genutzt, ihre Kunst zu zeigen – nur allzu verständlich nach der langen Zeit im Eis, in der sie ihr Handwerk nicht hatten ausüben können, weil die Mars- und Bramstengen, das obere Tauwerk und die Rahen niedergeholt worden waren. Aber in diesem violetten Gemach hielten sich kaum Seeleute auf; das Licht wirkte auch sonderbar bedrückend. Die Möbel hier bestanden nur aus übereinandergestapelten Kisten in der
Mitte des Raumes, die alle mit violetten Tüchern verhängt waren. Die wenigen Vögel, Piraten und Lumpensammler, die kurz stehen blieben, um aus ihren mitgebrachten Kristallkelchen zu trinken und sich umzusehen, verschwanden rasch wieder in den vorderen Gemächern.
    Aus dem letzten Zimmer schien überhaupt kein Licht zu dringen.
    Crozier folgte der scharfen Rechtsbiegung nach dem violetten Gemach und befand sich plötzlich in vollkommener Dunkelheit.
    Nein, das stimmte nicht. Auch hier brannten außerhalb der schwarz bemalten Leinwände Fackeln, so wie bei den anderen Räumen, doch der gedämpfte Schein verstärkte nur noch den Eindruck einer ebenholzschwarzen Kammer. Crozier hielt inne, damit sich seine Augen an das schwache Licht gewöhnten. Als es so weit war, wich er erschrocken zwei Schritte zurück.
    Das Eis unter seinen Füßen war verschwunden. Es war, als würde er auf dem schwarzen Wasser des arktischen Meeres stehen.
    Wenig später hatte der Kapitän den Trick durchschaut. Die Matrosen hatten Ruß aus Kessel und Kohlensäcken genommen und ihn über das Seeeis gestreut – ein alter Seefahrerkniff, um das widerstrebende Eis im späten Frühjahr oder Frühsommer leichter aufzutauen. Nur dass in einer Nacht wie dieser, der kein Sonnentag vorangegangen war und in der die Temperatur bis minus siebzig Grad sank, natürlich nichts auftauen konnte. Der Ruß und der Kohlenstaub sollten den Eisboden im düsteren Schimmer dieses letzten, grausigen Gemachs unsichtbar machen.
    Nachdem sich Croziers Augen weiter an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte er, dass der langgestreckte Raum nur ein einziges Möbelstück beherbergte. Seine Kiefer mahlten vor Zorn, als er bemerkte, worum es sich handelte.

    Am entfernten Ende der schwarzen Kammer hatte man Sir John Franklins hohe Ebenholzuhr aufgestellt. Sie stand mit dem Rücken zu dem steil aufragenden Eisberg, der als hintere Wand und zugleich als Abschluss des Labyrinths aus sieben Gemächern diente. Crozier konnte das schwere Ticken hören.
    Und über der Uhr trat etwas aus der Wand hervor, als wollte es sich aus der Umklammerung des Eisbergs befreien: der weiße Pelzkopf und die elfenbeingelben Zähne eines Ungeheuers.
    Nein, verbesserte er sich erneut, kein Ungeheuer. Der Kopf und Hals eines großen Polarbären waren am Eis befestigt. Das Maul des Geschöpfs stand weit offen. In seinen Augen spiegelte sich das schwache Fackellicht, das durch die schwarz bemalten Leinwände drang. Der Pelz und die Zähne des Bären bildeten die hellsten Punkte in dem düsteren Gemach. Seine Zunge war erschreckend rot. Und unter dem Haupt pochte wie ein Herzschlag die

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