Terror
hoch aufragenden, glühenden Eisberg eine richtiggehende Stadt aus bunten Segeln und flackernden Fackeln erhoben. Crozier stand noch immer wie vom Donner gerührt.
Die Matrosen hatten sich wirklich ins Zeug gelegt. Einige waren offensichtlich sogar auf den Eisberg geklettert. Sie hatten lange Eisschrauben in das sechzig Fuß hohe Massiv getrieben und mit Hilfe von Bolzen und Taljen genügend Leinen und Segel aus den Schiffsvorräten daran befestigt, um eine dreimastige Korvette damit auszurüsten.
Ein Spinnennetz aus hundert eisstarren Tauen lief vom Eisberg hinunter zur Erebus und zurück und trug die Stadt aus bunten, hell erleuchteten Segeln. Manche von ihnen, wie etwa die Großsegel, waren über dreißig Fuß hoch, und alle waren im Boden,
an Eiszacken und -blöcken verankert und mit Hilfe von diagonal zum Eisberg verlaufenden Streben straff an senkrechten Spieren gespannt.
Mit aufgerissenen Augen näherte sich Crozier dem Spektakel. Er konnte nicht blinzeln, obwohl seine Lider festzufrieren drohten.
Es war, als hätten sie auf dem Eis riesige farbige Zelte aufgebaut, nur dass diese Zelte kein Dach hatten. Die von innen und außen mit Dutzenden von Fackeln beleuchteten Flächen wanden sich vom offenen Seeeis in den Zackenwald und weiter bis zu dem steil aufragenden Eisberg. Praktisch über Nacht waren auf dem Eis mehrere große Räume entstanden. Jedes Gemach bog sich in schrägem Winkel von den angrenzenden fort, so dass die Taue, Streben und Segel ungefähr alle zehn Faden einen scharfen Schwenk machten.
Das erste Zimmer öffnete sich ostwärts aufs Eis. Die Leinwand hier war in einem leuchtenden, kräftigen Blau gestrichen worden – ein Himmelblau, das Kapitän Crozier schon so viele Monate nicht mehr gesehen hatte, dass er einen Kloß in der Kehle spürte. Die hell auflodernden Flammen vor dem Gemach ließen die blauen Wände erglühen und erbeben.
Crozier kam an Blanky und seinen Maaten vorbei, die gaffend dastanden. »Mein Gott«, hörte er den Eislotsen flüstern.
Der Kapitän ging weiter und betrat das von den schimmernden blauen Wänden umrissene Geviert.
Gestalten in grellen, merkwürdigen Gewändern wirbelten tänzelnd um ihn herum: Lumpensammler mit einem flatternden Schwanz aus bunten Tüchern; große, sich verrenkende Kaminkehrer in pechschwarzem Frack und rußigem Zylinderhut; leichtfüßig dahinschreitende exotische Vögel mit langem goldenem Schnabel; arabische Scheichs in rotem Turban und spitzen persischen Pantoffeln; Piraten mit blauen Totenmasken, die ein davontrippelndes Einhorn verfolgten; eine feierliche
Prozession von Generälen aus Napoleons Heer, die weiße Masken aus einer griechischen Tragödie trugen. Ein in unförmiges Grün gehülltes Wesen – ein Waldschrat? – hüpfte über das dunkle Eis auf Crozier zu und zwitscherte im Falsett: »Die Kiste mit den Kostümen ist gleich hier backbord, Sir. Suchen Sie sich was aus und stürzen Sie sich ins Geschehen.« Dann verschwand die Erscheinung wieder in der Menge bizarr vermummter Gestalten.
Wortlos drang Crozier weiter in das Labyrinth farbiger Gemächer vor.
Eine scharfe Rechtsbiegung verband das blaue Zimmer mit einem langen, purpurnen Raum. Und er war nicht leer. Die Männer, die den Maskenball vorbereitet hatten, hatten jedes Gemach mit Teppichen, Wandbehängen, Tischen oder Fässern ausgestattet und alles mit der gleichen Farbe bemalt wie die leuchtenden Segeltuchwände.
Nach einer weiteren Kehre, deren Winkel so befremdlich war, dass Crozier hinauf zu den Sternen hätte blicken müssen, um sich seiner genauen Richtung zu vergewissern, kam ein grünes Gemach. In diesem langgezogenen Raum hielten sich die bislang meisten Feiernden auf: weitere exotische Vögel, eine Prinzessin mit langem Pferdegesicht und merkwürdig gegliederte Wesen, die an Rieseninsekten denken ließen.
Crozier konnte sich nicht erinnern, auch nur eines dieser Kostüme in Parrys Schrankkoffern auf der Fury und Hecla gesehen zu haben, wenngleich ihm Fitzjames versichert hatte, dass Franklin genau diese verschimmelten alten Stücke mitgebracht hatte.
Das vierte Zimmer war orange beleuchtet und eingerichtet. Das durch die sonnenfarbene Leinwand einfallende Fackellicht war so kräftig, dass man es fast auf der Zunge zu schmecken glaubte. Auf dem Seeeis lagen weitere, in der gleichen Farbe bemalte Segeltuchbahnen, die aussahen wie Teppiche, und auf dem
orange bedeckten Tisch mitten im Gemach stand eine große Schüssel Punsch. Mindestens dreißig wild
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