Terror
mangelte. Wie alle auf der Beagle und in der Navy wussten, gehörte Bridgens zur ersten Art. Er verkehrte mit Männern, wenn er an Land war, doch sobald er zur See fuhr, war es damit vorbei. Und im Gegensatz zu dem Kalfaterersmaat auf Peglars jetzigem Schiff war Bridgens auch kein Päderast. Nach Auffassung der meisten Maaten war ein Schiffsjunge bei dem Subalternoffizierssteward Bridgens sicherer aufgehoben als zu Hause bei seinem Dorfpfarrer.
Abgesehen davon lebte Peglar noch mit Rose Murray zusammen, als er 1831 in See stach. Sie war Katholikin und hätte ihn nur geheiratet, wenn er sich zu ihrem Glauben bekehrt hätte, und dazu konnte er sich nicht überwinden. Aber auch unverheiratet waren sie an Land ein glückliches Paar. Allerdings spiegelten Roses Analphabetentum und ihre fehlende Wissbegierde im Hinblick auf die Welt nur das Leben des jüngeren Peglar wider, nicht jedoch den Mann, zu dem er später wurde. Vielleicht hätten sie geheiratet, wenn sie Kinder bekommen hätten. Doch Rose konnte keine Kinder bekommen und bezeichnete diesen Zustand als »Gottes Strafe«. Sie starb während seiner langen Reise mit der Beagle. Er hatte sie wirklich geliebt.
Aber auch John Bridgens liebte er.
Bis zum Ende der Forschungsexpedition der HMS Beagle hatte Bridgens, der die Rolle des Mentors erst nur widerwillig, doch auf das begeisterte Drängen des jungen Toppsgasts hin immer freudiger angenommen hatte, Peglar nicht nur Lesen und Schreiben auf Englisch beigebracht, sondern auch auf Griechisch, Lateinisch und Deutsch. Er hatte ihn in Philosophie, Geschichte und Naturgeschichte unterrichtet. Mehr noch, Bridgens hatte den intelligenten jungen Mann das Denken gelehrt.
Zwei Jahre nach dieser Reise besuchte Peglar seinen alten Freund in London, der wie fast die gesamte Flotte im Jahr 1838 einen längeren Urlaub an Land verbrachte, um ihn um weitere Unterweisung zu bitten. Zu diesem Zeitpunkt war Peglar bereits Vortoppmann der HMS Wanderer .
In jenen von Lektionen und Gesprächen erfüllten Monaten an Land ging die enge Freundschaft zwischen den zwei Männern in etwas anderes über, das eher einer Liebesbeziehung glich. Die Erkenntnis, dass er dazu imstande war, setzte Peglar in Erstaunen. Zuerst war er bestürzt, doch dann brachte ihn diese Erkenntnis dazu, jeden Aspekt seiner Lebensanschauung, seiner Moral und seines Glaubens einer genauen Prüfung zu unterziehen. Was er dabei entdeckte, verwirrte ihn, doch letztlich stellte er fest, dass sich an seinem Selbstverständnis nichts Grundlegendes geändert hatte. Harry Peglar blieb der Gleiche. Noch überraschender für ihn war allerdings, dass nicht der Ältere die körperliche Berührung gesucht hatte, sondern er selbst.
Diese intime Seite ihrer Beziehung dauerte nur wenige Monate und endete in gegenseitigem Einvernehmen, aber auch, weil Peglar mit der Wanderer bis 1844 häufig unterwegs war. Ihre Freundschaft blieb davon unberührt. Peglar fing an, dem früheren Steward lange philosophische Briefe zu schicken. Um seine Botschaften zu verschleiern, schrieb er die Worte von hinten nach vorn und immer den letzten Buchstaben des letzten Wortes
in einem Satz groß. In Anspielung auf die grauenhafte Orthographie des ehemals analphabetischen Vortoppmannes bemerkte Bridgens in einem Antwortbrief: »Deine kindliche Idee, die Worte wie Leonardo rückwärts zu buchstabieren, hat zu einer fast unentwirrbaren Verschlüsselung geführt, Harry.« Auch seine Tagebücher auf der Terror führte Peglar in dieser schlichten Geheimschrift.
Beide hatten einander nichts davon erzählt, dass sie sich zum Dienst für Sir Johns Expedition zum Nordpol beworben hatten. Einige Wochen vor dem Aufbruch entdeckten sie erstaunt den Namen des anderen auf der offiziellen Besatzungsliste. Peglar, der seit über einem Jahr nichts mehr von Bridgens gehört hatte, fuhr von seiner Baracke in Woolwich zur Wohnung des Stewards in Nordlondon, um ihn zu fragen, ob er sich von der Expedition abmelden solle. Bridgens bestand seinerseits darauf, seinen Namen von der Liste streichen zu lassen. Schließlich einigten sie sich darauf, dass keiner von ihnen auf ein solches Abenteuer verzichten sollte. Für Bridgens war es sicherlich die letzte Gelegenheit – Charles Hamilton Osmer, der Zahlmeister der Erebus , der schon seit Jahren mit ihm befreundet war, hatte seine Bewerbung unterstützt und war sogar so weit gegangen, das Alter des Subalternoffiziersstewards auf der offiziellen Musterrolle mit »26« zu
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