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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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    Weder Peglar noch Bridgens sprachen es aus, doch sie wussten, dass das Gelöbnis des Älteren, seiner sexuellen Neigung nie auf See nachzugehen, für beide bindend war. Außerdem war dies ohnehin ein abgeschlossenes Kapitel ihrer gemeinsamen Geschichte.
    Wie sich herausstellte, sollte Peglar seinen alten Freund während der Reise fast nie zu Gesicht bekommen. In den ganzen zweieinhalb Jahren hatten sie sich kaum einmal eine Minute unter vier Augen sprechen können.

     
     
    Natürlich war es noch dunkel, als Peglar am Samstagvormittag gegen elf Uhr die Erebus erblickte. Doch an diesem drittletzten Januartag zeigte sich im Süden ein Lichtschimmer, der zum ersten Mal seit über achtzig Tagen so etwas wie eine Morgendämmerung verhieß. Der schwache Schein war allerdings nicht dazu geeignet, die beißende Kälte von minus fünfzig Grad zu vertreiben, und so hielt er nicht inne, als die Schiffslaternen in Sicht kamen.
    Der Anblick der gekürzten Masten hätte jeden Toppmann geschmerzt, und Peglar tat er doppelt weh, weil er mit Robert Sinclair, seinem Pendant von der Erebus , zu Beginn dieses jahrelangen Winters das Niederholen und Einlagern der Bram- und Marsstengen beider Schiffe überwacht hatte. Es war ein hässliches Bild, das durch die Lage der Erebus , deren Bug steil aus dem heranpressenden Eis ragte, nicht schöner wurde.
    Peglar wurde von der Wache begrüßt und an Bord gerufen. Er brachte die Botschaft von Kapitän Crozier hinunter zu Kapitän Fitzjames, der pfeiferauchend in der achterlichen Offiziersmesse saß, weil die Große Messe immer noch als Lazarett benutzt wurde.
    Seit einiger Zeit verwandten die Kapitäne die Messingzylinder, die eigentlich für die Hinterlegung von Nachrichten in Steinmalen gedacht waren, zum Hin- und Herschicken von Botschaften. Die Kuriere waren weniger begeistert von dieser Neuerung, weil sie sich auch mit schweren Handschuhen die Finger an dem kalten Metall verbrannten. Fitzjames musste Peglar auffordern, den Behälter mit seinen Fäustlingen zu öffnen, da er für den Kapitän immer noch zu kalt war.
    Fitzjames schickte ihn nicht weg, und so stand Peglar in der Tür zur Offiziersmesse, während der Kapitän die Nachricht von Crozier las.
    »Keine Antwort, Mr. Peglar«, bemerkte Fitzjames schließlich.
    Salutierend hob der Vortoppmann die Hand an die Stirn und
stieg wieder hinauf an Deck. Ungefähr ein Dutzend Seeleute waren heraufgekommen, um das Schauspiel des Sonnenaufgangs zu genießen, und etliche weitere waren gerade dabei, ihre Plünnen überzustreifen. Peglar war aufgefallen, dass in der Großen Messe zwölf Männer lagen – ungefähr die gleiche Zahl wie auf der Terror. Auf beiden Schiffen hatte der Skorbut eingesetzt.
    Peglar sah John Bridgens’ vertraute kleine Gestalt backbord am achterlichen Schanzkleid stehen. Er näherte sich ihm von hinten und tippte ihm auf die Schulter.
    »Ah, mein Freund Harry mitten in der Nacht«, sagte Bridgens, noch bevor er sich umdrehte.
    »Nicht mehr lange Nacht«, erwiderte Peglar. »Und woher hast du gewusst, dass ich es bin, John?«
    Bridgens hatte keinen Schal über das Gesicht gezogen, und Peglar sah sein Lächeln und seine wasserblauen Augen. »Auf einem vom Eis eingeschlossenen Schiff macht die Nachricht von einem Besucher schnell die Runde. Musst du gleich wieder zur Terror zurück?«
    »Nein, Kapitän Fitzjames hatte keine Antwort für mich.«
    »Möchtest du einen Spaziergang machen?«
    »Gern.«
    Sie stiegen die Eisrampe an der Steuerbordseite hinunter und marschierten auf den Eisberg und den hohen Pressrücken im Südosten zu, um einen besseren Blick auf den südlichen Dämmerschein zu bekommen. Zum ersten Mal seit Monaten wurde die HMS Erebus von etwas anderem beleuchtet als von Fackeln, Laternen oder Polarlichtern.
    Bevor sie den Pressrücken erreichten, passierten sie den zerfurchten, rußigen und teilweise aufgetauten Platz, wo der Karnevalsbrand getobt hatte. Auf Kapitän Croziers Befehl hin war die Stelle in der Woche nach dem Unglück gründlich gesäubert worden, doch noch immer waren die Löcher, in denen die Zeltpfosten gesteckt hatten, sowie Fetzen von Tauen und Segeltuch
zu sehen, die nach dem Feuer im Eis festgefroren waren. Auch das Rechteck des ebenholzschwarzen Gemachs war noch zu erkennen, obwohl die Seeleute mehrmals versucht hatten, den Ruß zu entfernen, und wiederholt Schnee gefallen war.
    »Ich habe den amerikanischen Schriftsteller gelesen«, bemerkte Bridgens.
    »Welchen

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