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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Fässer, damit der beleibte Maat die Treppe zum Unterdeck erreichen kann. Der Kapitän ist sich bewusst, dass er den Zimmermann vielleicht umsonst bemüht – so kurz vor dem Löschen der Lichter für nichts und wieder nichts noch einmal die Wetterplünnen überstreifen zu müssen wäre sicher ärgerlich für Honey –, aber er hat so eine Ahnung. Lieber scheucht er den Mann jetzt auf als mitten in der Nacht.
    Als sich Wilson durch die obere Deckluke geschoben hat, hebt Kapitän Crozier die untere Luke an und steigt hinab aufs Lastdeck.
    Da der gesamte Laderaum unterhalb des Eisspiegels liegt, ist es hier fast genauso kalt wie in der unwirtlichen Welt jenseits der Schiffswände. Und sogar noch dunkler, denn hier gibt es weder Polarlicht noch Sterne noch Mond, die die allgegenwärtige Schwärze erhellen. In der Luft liegt dichter Kohlenstaub und Rauch – Rußteilchen winden sich um Croziers zischende Laterne wie die Krallen einer Todesfee –, und es stinkt nach Abwasser und Leckwasser. Aus der Dunkelheit achtern dringt ein scharrendes, rutschendes Geräusch, aber Crozier weiß, dass das bloß die Kohle ist, die in den Dampfkessel geschaufelt wird. Nur die schwache stetige Wärme des Kessels verhindert, dass das drei Zoll tiefe Schmutzwasser am Fuß des Niedergangs gefriert. Vorn, wo sich der Bug weiter ins Eis gebohrt hat, steht das Eiswasser fast einen Fuß hoch, obwohl die Männer täglich sechs Stunden die Pumpen bedienen. Einem atmenden Wesen gleich gibt die Terror über ihre lebenswichtigen Funktionen – wie etwa Mr. Diggles niemals ruhenden Herd – Feuchtigkeit ab, die sich auf den Decks niederschlägt: das Unterdeck ist immer klamm und reifbedeckt, das Orlop gefroren und das Lastdeck ein Verlies,
in dem das Eis von den Balken hängt und knöcheltief das Schmelzwasser schwappt. Die flachen schwarzen Wände der einundzwanzig Wassertanks zu beiden Seiten des Schiffsrumpfs tun ein Übriges. Die eisernen Behälter, die zum Zeitpunkt der Abreise mit achtunddreißig Tonnen Süßwasser gefüllt waren, sind inzwischen gepanzerte Eisberge, die man nicht anfassen kann, ohne Haut einzubüßen.
    Wie von dem Gefreiten Wilkes angekündigt, wartet Magnus Manson am Fuß des Niedergangs. Allerdings hockt er nicht mit dem Arsch auf der Treppe, sondern steht geduckt unter den niedrigen Balken. Sein blasses, teigiges Gesicht und die stoppeligen Backen wirken auf Crozier wie eine faulige geschälte Kartoffel, die man unter eine Welsh Wig gestopft hat. Im unbarmherzigen Schein der Lampe wagt er es nicht, seinem Kapitän in die Augen zu sehen.
    »Was soll das, Manson?« Croziers Stimme klingt viel weniger scharf als oben beim Wachposten und dem Leutnant. Der gelassene Tonfall kündet von seiner Machtbefugnis auf diesem Schiff.
    »Es sin die Geister, Kap’tän Crozier.« Der Riese Magnus Manson besitzt die hohe, leise Stimme eines Kindes. Als die Terror und Erebus im Juli 1845 in der Disko-Bucht an der Westküste Grönlands einen Zwischenhalt machten, hielt es Sir John Franklin für richtig, zwei Teilnehmer von der Expedition auszuschließen – einen Matrosen und einen Waffenmeister.
    Crozier seinerseits sprach die Empfehlung aus, auch den Segelmacher James Elliott, den Waffenmeister Robert Carr und den Gefreiten William Aitken von der Terror zu entlassen – sie waren kaum mehr als Invaliden und hatten auf einer Reise wie dieser nichts zu suchen. Seither hat er sich hin und wieder gewünscht, er hätte zusammen mit diesen fünf Leuten gleich auch noch Manson nach Hause geschickt. Wenn der Hüne nicht schwachsinnig ist, dann ist der Unterschied so gering, dass man ihn nicht erkennen kann.

    »Du weißt doch, dass es auf der Terror keine Geister gibt, Manson.«
    »Ja, Sir.«
    »Schau mich an.«
    Manson hebt den Kopf, ohne Croziers Blick zu begegnen. Der Kapitän wundert sich einmal mehr, wie winzig die blassen Augen in dem weißen, klumpigen Gesicht wirken.
    »Vollmatrose Manson, hast du Mr. Thompsons Befehl verweigert, Kohlensäcke in den Kesselraum zu tragen?«
    »Nein, Sir. Ja, Sir.«
    »Weißt du denn, was es für Folgen hat, auf diesem Schiff den Befehl zu verweigern?« Crozier hat das Gefühl, mit einem Kind zu reden, obwohl Manson mindestens dreißig Jahre alt sein muss.
    Das Gesicht des großen Seemanns leuchtet auf, weil er die richtige Antwort auf diese Frage weiß. »O ja, Kap’tän Crozier. Prügel, Sir. Zwanzig Hiebe. Un hunnert, wenn ich’s noch mal mach. Hängen, wenn ich eim echtn Offizier den Befehl

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