Terror
verweigern tu, un nich bloß Mr. Thompson.«
»Ganz richtig. Aber hast du gewusst, dass der Kapitän auch jede andere Strafe festsetzen kann, die ihm für das Vergehen angemessen scheint?«
Manson glotzt ihn aus verwirrten Augen an. Er hat die Frage nicht verstanden.
»Ich will damit sagen, Vollmatrose Manson, dass ich dich bestrafen kann, wie es mir passt«, erläutert der Kapitän.
Erleichterung malt sich auf dem klobigen Gesicht. »Genau, Kap’tän Crozier, richtig.«
»Statt den zwanzig Hieben«, fährt Crozier fort, »kann ich dich also auch zwanzig Stunden ohne Licht in die Totenkammer sperren.«
Aus Mansons ohnehin schon bleichen, erstarrten Zügen weicht alles Blut, und Crozier macht sich bereit zum Sprung nach hinten, falls der Hüne zusammenbricht.
»Das könn… Sie doch nich…« Zitternd verstummt die Kinderstimme.
Eine Weile ist nur das kalte Zischen der Laterne zu hören. Crozier gibt dem Seemann Gelegenheit, in seinem Gesicht zu lesen. Dann sagt er: »Diese Geräusche bildest du dir doch nur ein, Manson. Hat dir vielleicht irgendjemand Geistergeschichten erzählt?«
Manson öffnet den Mund, kann sich aber anscheinend nicht entscheiden, worauf er zuerst antworten soll. Eis bildet sich auf seiner wulstigen Oberlippe. »Walker«, murmelt er schließlich.
»Du hast Angst vor Walker?«
James Walker, ein Freund Mansons, der ungefähr genauso alt wie der Schwachkopf und nicht viel heller war, ist vor einer Woche gestorben – der bisher letzte Tote auf dem Eis. Laut Vorschriften hat die Mannschaft in der Nähe des Schiffs sogenannte Feuerlöcher ins Eis zu bohren, auch wenn es wie jetzt zehn oder fünfzehn Fuß dick ist, um im Falle eines Brandes an Bord schnell an Wasser zu gelangen. In die Löcher müssen stündlich Metallstangen gerammt werden, um ihr Zufrieren zu verhindern.
Walker und zwei seiner Maaten bildeten einen dieser Bohrtrupps in der Dunkelheit, als plötzlich der weiße Schrecken hinter einem Eisrücken auftauchte. Mit einem einzigen Hieb riss er dem Seemann den Arm aus und zerschmetterte ihm die Rippen.
Noch bevor die bewaffneten Wachen an Deck die Flinten hochreißen konnten, war das Wesen wieder verschwunden.
»Walker hat dir Geistergeschichten erzählt?«, fragt Crozier.
»Ja, Sir. Nein, Sir. Jimmy hat … also, in der Nacht, bevor ihn dieses Ding abgemurkst hat, sagt er zu mir, Magnus, wenn mich der Höllenhund eines Tags erwischen tut, sagt er, dann komm ich in meim weißn Totnhemd zurück und flüster dir ins Ohr, wie kalt’s in der Hölle is. So wahr mir Gott helfe, Kap’tän Crozier,
das hat Jimmy zu mir gesagt. Und jetz hör ich’n immer kratzen, weil er da rauswill.«
Wie aufs Stichwort dringt ein lautes Ächzen aus dem Schiffsrumpf. Das frostige Deck zu ihren Füßen stöhnt auf, die Metallkrampen an den Balken stimmen teilnahmsvoll ein, und um sie herum ertönt ein Scharren und Schaben, das sich durch das ganze Schiff zu ziehen scheint. Das Eis ist unruhig.
»Ist das das Geräusch, das du immer hörst, Manson?«
»Ja, Kap’tän Crozier. Nein, Sir.«
Die Totenkammer liegt dreißig Fuß achterlich auf der Steuerbordseite, gleich hinter dem letzten mitheulenden Wassertank. Als das Jammern des Eises verklingt, vernimmt Crozier nur noch das gedämpfte Schrammen und Stoßen der Schaufeln aus dem Kesselraum.
Inzwischen hat er genug von dem Unfug. »Du weißt genau, dass dein Freund nicht zurückkommt, Magnus. Er liegt da drin in der ehemaligen Segelkoje, fest eingenäht in seine Hängematte, durch und durch gefroren und wie die anderen Toten in drei Schichten von unserem dicksten Segeltuch eingewickelt. Wenn du von dort drinnen was hörst, dann nur diese verdammten Ratten, die an ihnen nagen. Das muss dir doch klar sein, Magnus Manson.«
»Ja, Kap’tän Crozier.«
»Auf diesem Schiff gibt es keine Befehlsverweigerung, Vollmatrose Manson. Du musst dich jetzt entscheiden. Du schleppst die Kohle, wenn es dir Mr. Thompson befiehlt. Du holst die Lebensmittel, wenn dich Mr. Diggle hier herunterschickt. Du führst alle Anordnungen höflich und prompt aus. Oder du kriegst es mit mir zu tun. Und dann wird dir der Prozess gemacht, und du verbringst eine kalte Nacht ohne Laterne in der Totenkammer.«
Ohne ein weiteres Wort hebt Manson salutierend die Hand zur Stirn, greift nach einem riesigen Sack Kohle, den er auf der
Treppe abgestellt hat, und schleppt ihn achteraus in die Finsternis davon.
Der Maschinist hat außer den Hosen nur noch sein langärmeliges
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