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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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sich zu viel in der düsteren Unterwelt des Orlopdecks auf und lauscht auf das Schreien des Eises, als ob er nur darauf wartet, dass die Metallbolzen und Balkenringe von der Kälte gesprengt werden. Und ganz unten im Lastdeck mit seinem Gestank und der Totenkammer beginnt der Wahnsinn.
    Crozier schüttelt die schwarzen Gedanken ab. Er späht in den Durchlass zwischen den aufgestapelten Fässern und Kisten. Der Schein seiner Laterne fällt auf die Schotten der Brotkammer und
die zu beiden Seiten verlaufenden Schächte, die noch schmaler sind als der Kajütgang oben durch das Offizierslogis; die Männer müssen sich zwischen der Brotkammer und den Planen über den letzten Kohlensäcken der Terror durchzwängen. Dort vorn befindet sich steuerbord das Hellegat des Zimmermanns und backbord gegenüber das des Bootsmanns.
    Crozier schwenkt das Licht achteraus. Ratten fliehen vor dem Schimmer und verschwinden träge zwischen Fässern mit Salzfleisch und Kisten mit Lebensmittelbüchsen.
    Selbst im matten Glanz seiner Laterne kann der Kapitän erkennen, dass die Spirituslast gut verriegelt ist. Jeden Tag kommt einer von Croziers Offizieren herunter, um das Quantum Rum zu holen, das zu Mittag als Grogration verteilt wird: eine Viertelpinte siebzigprozentiger Rum auf drei Viertelpinten Wasser pro Mann. In der Spirituslast werden auch der Wein und Weinbrand der Offiziere sowie zweihundert Gewehre, Entermesser und Bajonette aufbewahrt. Wie es in der Royal Navy schon lange üblich ist, verlaufen von der Offiziersmesse und der Großen Kajüte direkte Schächte zur Spirituslast. So haben die Offiziere im Falle einer Meuterei als Erste Zugang zu den Waffen.
    Hinter der Spirituslast liegt die Pulverkammer, wo die Fässer mit den Kugeln und dem Schwarzpulver untergebracht sind. Zu beiden Seiten der Spirituslast befinden sich mehrere kleine Verschläge, zum Beispiel der Raum für die Ankerketten, die Segelkoje mit dem vielen Segeltuch darin und die Schlappkiste, aus der der Proviantmeister Mr. Helpman die Wetterplünnen verteilt.
    Ganz am Ende, noch hinter der Pulverkammer, liegt schließlich die Vorratskammer des Kapitäns, in der Francis Croziers eigener  – und aus eigener Tasche bezahlter – Schinken, Käse und andere Delikatessen lagern. Es ist immer noch Brauch, dass ein Schiffskapitän seine Offiziere ab und an zu Tisch bittet, und wenngleich Croziers Lebensmittel im Vergleich zu den luxuriösen
Viktualien aus dem Privatbesitz des verstorbenen Sir John Franklin auf der Erebus verblassen, so hat Croziers mittlerweile fast leere Speisekammer doch immerhin zwei Sommer und zwei Winter auf dem Eis vorgehalten. Außerdem, überlegt er lächelnd, verfügt sie über einen anständigen Weinbestand, von dem die Offiziere nach wie vor zehren. Und viele Flaschen Whiskey, auf die Crozier selbst dringend angewiesen ist. Der Commander und die bedauernswerten Leutnants und Ziviloffiziere auf der Erebus mussten zwei lange Jahre ohne alkoholische Getränke auskommen. Sir John Franklin war Abstinenzler, und diese Abstinenz erstreckte sich zu seinen Lebzeiten auch auf seine Offiziersmesse.
    Schwankend nähert sich durch den schmalen Gang, der vom Bug nach achtern führt, eine Laterne. Der Kapitän erkennt eine Art haarigen schwarzen Bären, der seine massige Gestalt nur mit Mühe zwischen den Schotten der Brotkammer und den Kohlensäcken hindurchzwängen kann.
    »Mr. Wilson.« Crozier hat den Zimmermannsmaat an seiner Leibesfülle sowie an den Robbenfellhandschuhen und Rehfellhosen erkannt, die allen Männern vor der Fahrt angeboten wurden, die aber nur die wenigsten den gewohnten Flanell- und Wollplünnen vorgezogen haben. Während der Reise hat sich Wilson sogar Wolfsfelle, die sie an der dänischen Walfangstation in der Disko-Bucht erworben hatten, zu einem Überwurf zusammengenäht  – unförmig, aber warm, wie er stets versichert.
    »Sir.« Wilson, der zu den dicksten Männern an Bord zählt, hält in einer Hand die Laterne und hat sich jede Menge Zimmermannswerkzeug unter den anderen Arm geklemmt.
    »Mr. Wilson, richten Sie Mr. Honey bitte aus, er möchte sich mit mir unten auf dem Lastdeck treffen.«
    »Aye aye, Sir. Und wo auf dem Lastdeck?«
    »Vor der Totenkammer.«
    »Jawohl, Sir.« Das Laternenlicht funkelt in Wilsons Augen, deren neugieriger Blick ein wenig zu lang auf dem Kapitän ruht.

    »Und bitten Sie ihn, ein Brecheisen mitzubringen, Mr. Wilson.«
    »Aye aye, Sir.«
    Crozier tritt beiseite und drückt sich zwischen zwei

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