Terror
Unterhemd am Leib und schaufelt Kohle neben dem siebenundvierzigjährigen Heizer Bill Johnson. Der andere Heizer, Luke Smith, liegt im Unterdeck und schläft, um sich von den anstrengenden Schichten zu erholen. Der Oberheizer der Terror , der junge John Torrington, war der erste Mann der Expedition, der – am Neujahrstag des Jahres 1846 – starb, allerdings eines natürlichen Todes. Anscheinend hatte Torringtons Arzt den Neunzehnjährigen gedrängt, zur See zu fahren, um seine Schwindsucht zu heilen.
Nach zwei Monaten Invalidität, während das Schiff im Winter vor der Beechey-Insel festsaß, war er seinem Leiden erlegen. Die Doktoren Peddie und MacDonald haben Crozier damals mitgeteilt, dass die Lunge des Jungen so voll mit Kohlenstaub war wie die Taschen eines Kaminkehrers.
»Vielen Dank, Kapitän Crozier«, begrüßt ihn der junge Maschinist zwischen zwei Schaufelladungen. Matrose Manson hat gerade einen zweiten Sack Kohle abgeworfen und holt bereits den nächsten.
»Nichts zu danken, Mr. Thompson.« Croziers Blick wandert hinüber zu Heizer Johnson. Der Mann ist vier Jahre jünger als der Kapitän, sieht jedoch dreißig Jahre älter aus. Jede Falte und Furche in seinem gezeichneten Gesicht ist schwarz von Ruß und Schmutz. Selbst sein zahnloser Gaumen ist kohlegrau. Crozier will seinen Maschinisten – der zwar Zivilist, aber dennoch Offizier an Bord ist – nicht vor den Augen des Heizers zurechtweisen und entscheidet sich daher für eine diplomatische Formulierung: »Ich darf wohl annehmen, dass man mir keinen Seesoldaten mehr als Boten schickt, sollte es in Zukunft noch einmal zu einem
solchen Zwischenfall kommen – was ich im Übrigen sehr bezweifle.«
Thompson nickt und wirft mit der Schaufel die Eisentür des Kessels zu. Auf sein Werkzeug gestützt, befiehlt er Johnson, nach oben zu gehen und ihm bei Mr. Diggle eine Tasse Kaffee zu holen. Crozier ist froh über das Verschwinden des Heizers, aber noch froher ist er, dass die Feuertür geschlossen ist. Nach der Kälte auf den anderen Decks verursacht ihm die Hitze hier leichte Übelkeit.
Wieder einmal sinnt der Kapitän über das Schicksal seines Maschinisten nach. Deckoffizier James Thompson, Maschinist Erster Klasse, Absolvent der Marinedampffabrik in Woolwich – der besten Ausbildungsstätte für den neuen Berufsstand des Dampfmaschinisten – schaufelt hier halbnackt Kohlen wie ein gewöhnlicher Heizer, in einem von Eis umschlossenen Schiff, das sich nun schon seit über einem Jahr nicht mehr aus eigener Kraft von der Stelle bewegt hat.
»Mr. Thompson«, beginnt Crozier, »verzeihen Sie, dass ich nach Ihrer Rückkehr von der Erebus bis jetzt noch nicht mit Ihnen sprechen konnte. Hatten Sie Gelegenheit zu einer Unterredung mit Mr. Gregory?« John Gregory ist der Maschinist des Flaggschiffs.
»Ja, Kapitän Crozier. Mr. Gregory ist überzeugt, dass sie jetzt nach Einbruch des Winters die beschädigte Antriebswelle nicht mehr erreichen werden. Und selbst wenn sie sich durchs Eis graben könnten, um die zweite Schiffsschraube wieder gegen die erste auszutauschen, die inzwischen notdürftig repariert ist – es wäre sinnlos, weil die Antriebswelle zu stark verbogen ist. Die Erebus wird nicht mehr mit Dampfkraft fahren.«
Crozier nickt. Die zweite Antriebswelle der Erebus wurde beschädigt, als das Schiff vor über einem Jahr verzweifelt gegen das Eis ankämpfte. Das schwerere, mit einer stärkeren Maschine ausgerüstete Flaggschiff fuhr in diesem Sommer vorneweg ins
Packeis, um für beide Schiffe Fahrrinnen aufzubrechen. Doch das letzte Eis, mit dem sie es aufnahmen, ehe sie wieder einfroren, war härter als das Eisen, aus dem die Schiffsschraube und die Antriebswelle bestehen. Noch im selben Sommer stellten tauchende Seeleute – die allesamt Erfrierungen erlitten und den Tauchgang fast mit ihrem Leben bezahlten – fest, dass nicht nur die Schiffsschraube zerbrochen, sondern auch die Antriebswelle in Mitleidenschaft gezogen war.
»Und wie sieht es mit der Kohle aus, Mr. Thompson?«
»Die Vorräte auf der Erebus reichen … vielleicht noch für vier Monate, wenn nur eine Stunde am Tag heißes Wasser in die Heizrohre im Unterdeck gepumpt wird, Sir. Und auf keinen Fall mehr für eine Fahrt mit Dampfkraft im nächsten Sommer.«
Falls wir nächsten Sommer überhaupt freikommen , denkt Crozier. Nach dem letzten Sommer, in dem das Eis keinen Fußbreit nachgegeben hat, betrachtet er die Sache eher pessimistisch. Während der letzten Wochen
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