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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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ihrem Lager im Kabelgatt beliebig ein und aus gehen. Am Tag nach dem Brand haben Mr. Honey und seine Zimmermannsmaaten das Loch in der Schiffswand repariert, und Mr. Irving hat den Eisschacht vor dem Bug zum Einsturz gebracht – das hat sich irgendwie herumgesprochen.«
    »Hickey und die anderen dachten, dass sie etwas mit dem Feuer zu tun hat?«
    Wieder zuckte Peglar mit den Achseln. Wenigstens trug diese Geste dazu bei, ihn zu wärmen. »Womöglich haben sie sie sogar für das Wesen aus dem Eis gehalten. Oder zumindest für seine Spießgesellin. Die meisten Männer sind schon seit Monaten überzeugt, dass sie eine heidnische Hexe ist.«
    »Die meisten Leute auf der Erebus sind ganz der gleichen Meinung.« Bridgens’ Zähne klapperten. Die beiden Männer beschleunigten ihre Schritte.
    »Hickeys Meute hatte den Plan, der Frau aufzulauern, wenn sie am Abend nach oben geht, um sich ihren Zwieback und Stockfisch abzuholen«, erklärte Peglar. »Sie wollten ihr die Kehle durchschneiden. Vielleicht in Verbindung mit einer Art Zeremonie.«
    »Und warum ist das dann nicht passiert?«

    »Bei so einer Geschichte gibt es immer jemanden, der was ausplaudert. Als Kapitän Crozier von der Sache Wind bekam – vielleicht nur wenige Stunden vor dem geplanten Mord –, hat er das Mädchen nach oben aufs Unterdeck gezerrt und alle Seeleute und Offiziere zusammengerufen. Sogar die Wachen hat er nach unten geholt, und so was hat es noch nie gegeben.«
    Bridgens wandte Peglar im Gehen sein blasses, kantiges Gesicht zu. Es wurde jetzt rasch dunkler, und der Wind blies aus Nordwest.
    »Es war gerade Abendessenszeit«, fuhr Peglar fort, »aber der Kapitän hat alle Tische wieder hochziehen lassen und den Männern befohlen, sich aufs Deck zu setzen. Nicht auf Fässer oder Kisten, sondern auf die nackten Planken. Dann hat er die mit Gewehren bewaffneten Offiziere hinter sich postiert. Er hat die Eskimofrau am Arm gehalten wie ein Opfer, das er den Männern zum Fraß vorwerfen will. Wie ein Stück Fleisch für hungrige Schakale. Und in gewissem Sinn hat er das dann auch getan.«
    »Wie meinst du das?«
    »Er hat den Leuten gesagt, wenn sie einen Mord planen, dann müssen sie ihn gleich begehen … jetzt, vor seinen Augen. Mit ihren Bootsmessern. Hier auf dem Unterdeck, wo sie essen und schlafen. Und dass sie es alle zusammen tun müssen – Seeleute und Offiziere gemeinsam –, weil sich Mord auf einem Schiff ausbreitet wie ein Geschwür, außer alle sind durch ihre Mittäterschaft dagegen gefeit.«
    »Äußerst seltsam. Ich bin überrascht, dass es ihm damit gelungen ist, den Blutdurst der Männer zu ersticken. So ein Pöbel ist doch völlig hirnlos.«
    Peglar nickte. »Dann hat Crozier Mr. Diggle von seinem Platz am Herd nach vorn gerufen.«
    »Den Koch?«
    »Den Koch. Crozier wollte von ihm wissen, was es zum Abendessen
gibt – was es im kommenden Monat jeden Tag zum Abendessen gibt. ›Stockfisch‹, hat Diggle geantwortet, ›und dazu die letzten Konserven, die noch nicht verrottet oder vergiftet sind.‹«
    »Interessant.«
    »Dann hat Crozier Dr. Goodsir gefragt, der an diesem Tag gerade auf der Terror war, wie viele Männer sich in den letzten Tagen krank gemeldet haben. ›Einundzwanzig‹, war Goodsirs Antwort. ›Vierzehn davon schlafen zurzeit im Lazarett und sind nur auf Ihren Befehl hin zu dieser Versammlung erschienen, Sir.‹«
    Bridgens nickte jetzt seinerseits, als hätte er Croziers Absichten begriffen.
    »Und dann sagte der Kapitän: ›Das ist der Skorbut, Männer. ‹ Das erste Mal seit zweieinhalb Jahren, dass irgendein Offizier dieses Wort vor der Mannschaft ausgesprochen hat. ›Wir haben den Skorbut am Hals, Schiffsmaaten‹, sagte der Kapitän. ›Die Symptome kennt ihr ja. Oder wenn nicht … wenn ihr nicht den Mumm habt, darüber nachzudenken … dann müsst ihr sie euch eben erklären lassen.‹ Dann hat Crozier Dr. Goodsir nach vorn neben das Mädchen gebeten und ihn aufgefordert, alle Skorbutsymptome aufzuzählen.«
    Sie näherten sich bereits der Erebus . Nach einer Pause fuhr Peglar fort: »›Geschwüre‹, begann Goodsir, ›und Hämorrhagien am ganzen Körper. Das heißt Blutlachen unter der Haut. Die aus der Haut austreten. Die aus jeder Öffnung austreten, bevor die Krankheit ihren tödlichen Verlauf nimmt: aus dem Mund, den Ohren, den Augen, dem Arsch. Gliederstarre – das bedeutet, zuerst tun euch Arme und Beine weh, dann werden sie steif. Funktionieren nicht mehr. Ihr tappt herum wie

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