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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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angeschaut.«
    Bridgens lächelte. »Ich war fast ein bisschen eifersüchtig, als er dir dieses Buch geliehen hat. Von wem war es gleich wieder? Lyell?«
    »›Lehrbuch der Geologie‹«, erwiderte Peglar. »Ich habe es eigentlich nicht richtig verstanden. Nur so viel, dass es gefährlich war.«
    »Wegen Lyells Thesen zum Alter der Erde. Wegen seiner äußerst unchristlichen Idee, dass sich die Dinge keineswegs rasch und durch heftige Ereignisse verändern, sondern langsam, in Zeiträumen von Äonen.«
    »Ja, richtig. Aber Mr. Darwin war sehr davon angetan. Er klang wie jemand, der ein religiöses Erweckungserlebnis gehabt hat.«

    »In gewisser Weise trifft das durchaus zu«, bestätigte Bridgens. Jetzt war nur noch das obere Drittel der Sonne zu sehen. »Ich habe Mr. Darwin erwähnt, weil ich kurz vor unserer Abreise von gemeinsamen Freunden gehört habe, dass er an einem Buch schreibt.«
    »Er hat ja auch schon einige herausgebracht. Weißt du noch, wie wir damals über sein ›Tagebuch mit Erforschungen der Naturgeschichte und Geologie der Länder, die auf der Fahrt der HMS Beagle besucht wurden‹ gesprochen haben, das muss 1839 gewesen sein, als ich dich zum Studieren besucht habe. Ich konnte es mir nicht leisten, aber du hattest es schon gelesen. Außerdem hat er, glaube ich, mehrere Bände über die von ihm beobachteten Pflanzen und Tiere verfasst.«
    »›Reise eines Naturforschers um die Welt‹. Ja, das habe ich mir auch gekauft. Aber das Buch, an dem er 1845 gearbeitet hat, ist von weit größerer Bedeutung, hat mir mein Freund Mr. Babbage erzählt.«
    »Charles Babbage? Der Bursche, der immer an diesen merkwürdigen Sachen herumbastelt – an dieser Rechenmaschine?«
    »Genau der. Von Charles habe ich erfahren, dass Mr. Darwin schon seit vielen Jahren an einem interessanten Werk arbeitet, das die Mechanismen der organischen Evolution behandelt. Anscheinend zieht er dabei Erkenntnisse aus der vergleichenden Anatomie, Embryologie und Paläontologie heran – alles Gebiete, für die sich unser Bordnaturforscher schon damals sehr interessiert hat, wie du vielleicht noch weißt. Doch aus irgendwelchen Gründen zögert Mr. Darwin mit der Veröffentlichung. Nach Charles’ Auskunft wird das Buch zu unseren Lebzeiten wohl nicht mehr in Druck gehen.«
    »Organische Evolution?«
    »Ja. Dieser Begriff umschreibt die Vorstellung, dass die Lebewesen entgegen der übereinstimmenden christlichen Auffassung nicht seit der Schöpfung feststehen, sondern sich im Lauf der
Zeit anpassen … im Lauf einer sehr langen Zeit. In Äonen, wie es bei Mr. Lyell heißt.«
    »Ich weiß, was organische Evolution ist.« Peglar unterdrückte seinen Ärger über die Belehrung, die in den Worten des Stewards mitschwang. Das Schwierige an einem Lehrer-Schüler-Verhältnis war, so wurde ihm nicht zum ersten Mal klar, dass es immer gleich blieb, auch wenn sich alles andere veränderte. »Ich habe Lamarcks Ausführungen zu diesem Thema gelesen. Auch Diderot. Und Buffon, wenn ich mich nicht irre.«
    »Stimmt, es ist eigentlich eine alte Theorie.« Bridgens klang belustigt, aber auch ein wenig entschuldigend. »Montesquieu hat darüber geschrieben, ebenso Maupertuis und die anderen, die du erwähnt hast. Sogar Erasmus Darwin, der Großvater unseres früheren Schiffsmaats, hat bereits darüber nachgedacht.«
    »Was soll dann am Buch seines Enkels so bedeutsam sein? Die organische Evolution ist eine uralte Idee, die von der Kirche und auch anderen Naturforschern schon vor Generationen verworfen wurde.«
    »Wenn man Charles Babbage und einigen gemeinsamen Freunden von mir und Mr. Darwin glauben darf, dann führt dieses neue Buch, falls es je veröffentlicht wird, den Beweis, dass die organische Evolution einem bestimmten Mechanismus folgt. Und es belegt diesen Mechanismus mit Tausenden, vielleicht sogar Zehntausenden von anschaulichen Beispielen.«
    »Und was ist das für ein Mechanismus?« Die Sonne war verschwunden. Rosenfarbene Schatten verblassten im hellgelben Dämmerlicht. Jetzt, da sich die Sonne wieder zurückgezogen hatte, konnte Peglar kaum glauben, dass er sie wirklich gesehen hatte.
    »Eine natürliche Auslese durch den Wettbewerb innerhalb der zahlreichen Gattungen. Eine Auslese, die vorteilhafte Eigenschaften weitergibt und nachteilige Eigenschaften ausmerzt – solche Merkmale also, die weder der Wahrscheinlichkeit des Überlebens
noch der Fortpflanzung dienen. Diese Auslese findet in sehr langen – sozusagen

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