Terror
Lyell’schen – Zeiträumen statt.«
Peglar ließ sich das alles durch den Kopf gehen. »Warum hast du dieses Thema angesprochen, John?«
»Wegen unseres raubtierhaften Freundes da draußen auf dem Eis, Harry. Wegen des verkohlten Schädels, der jetzt dort liegt, wo vor einem Monat das Ticken von Sir Johns Ebenholzuhr zu hören war.«
»Ich verstehe nicht ganz.« Diesen Satz hatte Peglar ziemlich oft gesagt, als er in den fünf Jahren der scheinbar endlosen Fahrt der Beagle John Bridgens’ Schüler gewesen war. Ursprünglich war die Reise auf zwei Jahre geplant gewesen, und Peglar hatte Rose versprochen, spätestens in zwei Jahren zu ihr zurückzukehren. Im vierten Jahr der Beagle auf See war sie an Schwindsucht gestorben. »Glaubst du, das Wesen aus dem Eis ist durch evolutionäre Anpassung aus dem weißen Bären hervorgegangen, den wir hier so häufig angetroffen haben?«
»Ganz im Gegenteil«, entgegnete Bridgens. »Ich frage mich, ob wir nicht auf einen der letzten Angehörigen einer uralten Gattung gestoßen sind. Ein Wesen, das größer, klüger, schneller und weitaus grausamer ist als sein Nachfahre, der weitverbreitete Polarbär.«
Peglar dachte darüber nach. »Ein Wesen aus einem vorsintflutlichen Zeitalter.«
Bridgens lachte gutmütig. »Zumindest metaphorisch gesprochen, Harry. Du erinnerst dich sicher noch, dass ich von dem Glauben an eine buchstäbliche Flut nicht besonders viel halte.«
Peglar musste ebenfalls lächeln. »Deine Gesellschaft ist wirklich gefährlich, John.« Er stand auf, um sich ein wenig zu wärmen und weiter nachzusinnen. Das Licht wurde zusehends schwächer, und die Sterne nahmen wieder ihren Platz am südlichen Himmel ein. »Glaubst du, dass dieses Wesen … vielleicht das letzte seiner Art … schon auf der Erde war, als es die Riesenechsen
gab? Wenn ja, warum wurden dann bisher keine Fossilien davon gefunden?«
Erneut lachte Bridgens. »Nein, irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass unser Räuber aus dem Eis im Wettstreit mit den Riesenechsen lag. Vielleicht haben Säugetiere wie der Ursus maritimus nie zur gleichen Zeit existiert wie die gigantischen Reptilien. Wie Mr. Lyell gezeigt hat und auch unser Mr. Darwin verstanden zu haben scheint, ist die Zeit etwas Unermessliches, das wir kaum begreifen können.«
Eine Weile schwiegen die beiden Männer. Leichter Wind war aufgekommen, und Peglar merkte, dass sie nicht mehr lange hier draußen in der Kälte bleiben konnten. Er sah, dass sein älterer Freund bereits ein wenig zitterte. »John, wenn wir die Herkunft dieses Tiers verstehen … oder dieses Wesens, weil es sich für ein bloßes Tier einfach zu intelligent verhält … glaubst du, dass uns das helfen wird, es zu töten?«
Diesmal lachte Bridgens laut auf. »Nicht im Geringsten, Harry. Ganz unter uns gesagt, mein lieber Freund, ich glaube, dass uns dieses Geschöpf weit voraus ist. Unsere Knochen werden wahrscheinlich lange vor seinen zu Fossilien werden. Obwohl, wenn ich es mir recht überlege … ein riesiges Geschöpf, das nur auf dem Polareis lebt, das sich nicht einmal zur Fortpflanzung ans Festland begibt, wie es die Polarbären offensichtlich tun, und das sich, wer weiß, vielleicht sogar vorwiegend von diesen Polarbären ernährt … es kann gut sein, dass so ein Geschöpf überhaupt keine Knochen, keine Fossilien, keine Spuren hinterlässt – zumindest keine, die wir nach dem heutigen Stand der wissenschaftlichen Technik unter dem ewigen Polareis finden könnten.«
Sie machten sich auf den Weg zurück zum Schiff.
»Erzähl mir, Harry, wie steht es auf der Terror ?«
»Du hast davon gehört, dass es vor drei Tagen fast zu einer Meuterei gekommen ist?«
»War die Lage wirklich so bedenklich?«
Peglar zuckte mit den Achseln. »Auf jeden Fall schlimm genug. Der Alptraum jedes Offiziers. Hickey, der Kalfaterersmaat, und drei andere Unruhestifter haben die Leute aufgehetzt, bis sie nur noch eine geifernde Meute waren. Crozier hat die Sache brillant entschärft. Ich glaube, ich habe noch nie einen Kapitän gesehen, der so gewandt und sicher mit einem aufgebrachten Pöbel fertig wurde wie Crozier letzten Mittwoch.«
»Und alles wegen dieser Eskimofrau?«
Peglar nickte und zog die Welsh Wig und den Schal enger um das Gesicht. Der Wind war inzwischen beißend geworden. »Hickey und viele andere hatten erfahren, dass sich das Weib vor Weihnachten einen geheimen Ausgang durch den Schiffsrumpf gegraben hatte. Bis zum Silvesterball konnte sie von
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