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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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seine Fähigkeiten als Seemann und Offizier nie beeinträchtigt, aber er hat wie ein Puffer gewirkt … ein Damm zwischen Crozier und der Welt. Und nun ist er einfach mehr da . Dem Kapitän entgeht nichts mehr, nicht das Geringste. Ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll.«
    Bridgens nickte. »Ich nehme an, dass jetzt nicht mehr davon geredet wird, die Hexe umzubringen.«
    »Nein. Einige Männer haben ihr sogar Zwieback geschenkt. Aber nun ist sie verschwunden – irgendwo draußen auf dem Eis.«
    Bridgens begann, die Rampe hinaufzusteigen, drehte sich aber noch einmal um. Er sprach mit stark gesenkter Stimme, um von den wachhabenden Seeleuten nicht verstanden zu werden. »Was hältst du von Cornelius Hickey, Harry?«
    »Ich halte ihn für einen heimtückischen kleinen Scheißer.« Peglar war es gleichgültig, ob ihn jemand hörte oder nicht.
    Bridgens nickte. »Und du hast recht damit. Ich wusste schon einige Jahre über ihn Bescheid, als ich zu dieser Arktisexpedition in See gestochen bin. Auf langen Reisen hat er immer den Schiffsjungen nachgestellt und sie zu Sklaven gemacht, die seine Wünsche erfüllen mussten. In letzter Zeit, habe ich gehört, hat er sich eher ältere Männer als Untertanen ausgesucht, wie zum Beispiel diesen Schwachsinnigen …«
    »Magnus Manson.«
    »Ja, wie diesen Manson. Wenn es nur um Hickeys Vergnügen ginge, bräuchten wir uns keine Sorgen machen. Aber dieser kleine Homunkulus ist viel schlimmer als der durchschnittliche Möchtegernmeuterer und Querulant. Sei vorsichtig, Harry. Nimm dich ernsthaft vor ihm in Acht. Ich fürchte, dass er uns allen großen Schaden zufügen kann.« Plötzlich lachte Bridgens
auf. »Ich klinge schon wie ein altes Waschweib – großen Schaden zufügen –, als ob wir nicht sowieso alle zum Untergang verurteilt wären. Wenn ich dich wiedersehe, dann sind wir vielleicht schon dabei, die Schiffe zu verlassen und unsere letzte lange Wanderung über das Eis anzutreten. Gehab dich wohl, Harry Peglar.«
    Peglar sagte nichts. Wortlos nahm er seinen Fäustling und dann seinen Handschuh ab und hob die eisstarren Finger, bis sie die kalte Wange und Stirn des Subalternoffiziersstewards John Bridgens berührten. Es war nur eine leichte Berührung, die keiner der beiden durch die beginnenden Erfrierungen spüren konnte.
    Dann stieg Bridgens die Rampe hinauf. Ohne einen Blick zurück streifte Peglar wieder Handschuh und Fäustling über und machte sich auf den kalten Marsch durch die dichter werdende Finsternis zur Terror.

29
Irving
    70°05′ NÖRDLICHE BREITE | 98°23′ WESTLICHE LÄNGE
6. FEBRUAR 1848
     
     
     
    E s war Sonntag, und Leutnant Irving hatte gerade zwei ganze Deckwachen in Finsternis und Kälte hinter sich, weil er zusätzlich für seinen Freund George Hodgson eingesprungen war, der an ruhrartigen Symptomen litt. Aus diesem Grund hatte Irving sein warmes Abendessen in der Offiziersmesse verpasst und musste sich mit einer kleinen, eisharten Scheibe gepökeltem Schweinefleisch und einem mit Ungeziefer durchsetzten Zwieback begnügen. Dafür hatte er nun acht volle Stunden frei, bevor er wieder zum Wachdienst eingeteilt war. Er konnte sich ins Unterdeck schleppen, unter die gefrorenen Decken in seiner Koje kriechen, sie ein wenig mit seiner Körperwärme auftauen und dann einfach durchschlafen.
    Stattdessen unterrichtete er den Ersten Unterleutnant Robert Thomas, der ihn als wachhabender Offizier an Deck ablöste, dass er einen Spaziergang machen wolle, aber bald wieder zurück sein werde.
    Dann verließ Irving das Schiff und begab sich hinaus aufs dunkle Packeis.
    Er war auf der Suche nach Lady Silence.
    Vor eineinhalb Wochen war er bis ins Mark erschrocken,
als Kapitän Crozier scheinbar Anstalten getroffen hatte, die Frau dem wütenden Pöbel auszuliefern, nachdem die Seeleute, die den aufrührerischen Einflüsterungen des Kalfaterersmaats Hickey und anderer aufgesessen waren, die Frau lauthals als Hexe beschimpft und verlangt hatten, sie zu töten oder davonzujagen. Als Crozier Lady Silence am Arm gepackt und sie den wütenden Männern entgegengestoßen hatte, so wie ein römischer Kaiser einen Christen den Löwen zum Fraß vorgeworfen hätte, war sich Leutnant Irving nicht sicher gewesen, wie er handeln sollte. Als Dritter Leutnant durfte er sich nicht gegen seinen Kapitän auflehnen, auch wenn es Silence’ Tod bedeutete. Als verliebter junger Mann dagegen war Irving bereit, alles für ihre Rettung zu tun, auch wenn es ihn das

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