Terror
Collins nach vorn gegangen. Haben Sie sie gefunden?«
»Ja.« Fitzjames’ Stimme klang dumpf. »Sie sind beide am Leben. Sie sind zur Steuerbordseite der Brotkammer geflohen, als
das Feuer ausbrach und das Ungeheuer auf den armen Collins losgegangen ist.« Der Kapitän holte tief Atem. »Der Rauch dort unten verzieht sich allmählich. Ich muss noch einmal mit einem Trupp Männer in die Last hinunter, um die Leichen des Maschinisten Gregory und des Heizers Tommy Plater zu bergen.«
»Mein Gott«, entfuhr es dem Arzt. Er berichtete Fitzjames von dem nackten Arm, den er in der Tür zum Kohlenverschlag gesehen hatte.
»Das ist mir gar nicht aufgefallen. Ich hatte nur die vordere Schütte im Blick und habe überhaupt nicht zur Seite geschaut.«
»Und ich hätte lieber nach vorn blicken sollen«, bemerkte Goodsir verzagt. »Ich bin gegen einen Balken oder Pfosten gerannt.«
Fitzjames lächelte. »Das sieht man. Da kann man nur sagen: Arzt, heile dich selbst. Sie haben eine tiefe Risswunde vom Haaransatz bis zur Augenbraue und eine Schwellung, die ungefähr so groß ist wie Magnus Mansons Faust.«
»Wirklich?« Vorsichtig betastete Goodsir seine Stirn. Danach waren seine Finger noch blutiger, obwohl er über der riesigen Prellung eine dicke Kruste aus bereits getrocknetem Blut spüren konnte. »Das nähe ich später mit einem Spiegel, oder ich lasse es von Lloyd machen. Ich komme mit, Kapitän Fitzjames.«
»Wohin denn, Mr. Goodsir?«
»Nach unten in die Last.« Allein die Vorstellung reichte, dass sich dem Arzt die Eingeweide zusammenzogen. »Um zu sehen, wer dort unten in dem Kohlenverschlag liegt. Vielleicht lebt er ja noch.«
Fitzjames blickte ihm in die Augen. »Unser Zimmermann Mr. Weekes und sein Maat Watson werden vermisst, Dr. Goodsir. Sie haben unten in einem Kohlenverschlag auf der Steuerbordseite gearbeitet, um einen Riss im Schiffsrumpf zu reparieren. Aber sie sind bestimmt tot.«
Goodsir hatte die Anrede »Dr.« nicht überhört. Franklin und
sein Commander hatten die Ärzte fast nie so genannt, auch die Schiffsärzte Stanley und Peddie nicht. Nach der Auffassung Sir Johns und des aristokratischen Fitzjames hatten sie – und auch Goodsir – sich mit dem bescheideneren »Mr.« zu begnügen.
Aber diesmal nicht.
Goodsir straffte sich. »Wir müssen nach unten steigen, um uns davon zu überzeugen. Ich muss mich selbst davon überzeugen. Es kann sein, dass einer von beiden noch am Leben ist.«
»Aber es kann auch sein, dass das Wesen aus dem Eis dort lauert.« Fitzjames’ Stimme war leise geworden. »Niemand hat gesehen oder gehört, dass es das Schiff verlassen hat.«
Goodsir nickte müde und nahm seinen Arztkoffer. »Kann ich Mr. Downing mitnehmen? Ich brauche jemanden, der mir die Laterne hält.«
»Ich bin bei Ihnen, Dr. Goodsir.« Fitzjames hob eine Laterne auf, die Downing hereingebracht hatte. »Gehen Sie voraus, Sir.«
32
Crozier
70°05′ NÖRDLICHE BREITE | 98°23′ WESTLICHE LÄNGE
22. APRIL 1848
L eutnant Little, bitte geben Sie Befehl, das Schiff zu verlassen.«
»Aye aye, Sir.« Little wandte sich um und wies die Seeleute an, die sich auf dem Deck drängten. Die anderen Leutnants waren nicht da, und so nahm Bootsmann John Lane die Order auf und brüllte sie in Richtung Bug. Der Bootsmannsmaat Thomas Johnson – der Mann, der im Januar Hickey, Manson und Aylmore ausgepeitscht hatte – rief den Befehl durch die offene Luke hinunter, bevor er sie schloss und endgültig verschalkte.
Natürlich war schon längst niemand mehr dort unten. Crozier und Little hatten alle Decks vom Heck bis zum Bug abgeschritten und in jedes Hellegat geschaut – vom kalten Kesselraum mit seinen unbeheizten Feuerstätten über die leeren Kohlenverschläge auf dem Lastdeck bis hin zu dem engen, aber nicht mehr bewohnten Kabelgatt. Auf dem Orlopdeck hatten sie sich vergewissert, dass die Spirituslast und die Pulverkammer, in denen Büchsen, Schießpulver und Schrot zurückblieben, gut verriegelt waren. Daneben schimmerten Reihen von Entermessern und Bajonetten kalt im Laternenlicht. In den letzten eineinhalb Monaten hatten zwei Offiziere überprüft, dass alle nötigen
Kleider aus der Schlappkiste geholt worden waren. Auch der Vorratsraum des Kapitäns und die Brotkammer waren leer. Auf dem Unterdeck hatten Little und Crozier jede Kajüte kontrolliert und festgestellt, dass die Offiziere ihre Kojen, Regale und Habseligkeiten in größter Ordnung hinterlassen hatten. Sie hatten die zum
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