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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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bei meiner Gebrechlichkeit kann ich mir nicht vorstellen …«
    »Du wirst mich überleben, John«, wiederholte Peglar zähneknirschend. Er erschrak selbst über die Heftigkeit seiner Worte. Bridgens verstummte erstaunt. Peglar ergriff seine Hand. »Ich möchte, dass du mir etwas versprichst.«
    »Natürlich.« Jegliche Ironie war aus Bridgens’ Stimme verschwunden.

    »Mein Tagebuch … es ist nicht viel. In letzter Zeit fällt mir manchmal schon das Denken schwer, vom Schreiben ganz zu schweigen. Ich leide ziemlich stark an diesem gottverdammten Skorbut, John, und er scheint auch meinen Geist zu zerrütten. Aber ich führe dieses Tagebuch nun schon seit drei Jahren. Da steht drin, was ich denke. Alles, was wir erlebt haben. Könntest du es bitte an dich nehmen, wenn ich … wenn ich dich verlasse … und mit zurück nach England bringen.«
    Bridgens nickte nur.
    »John, ich glaube, der Kapitän wird schon bald den Befehl zum Aufbruch geben. Sehr bald. Er weiß, dass wir mit jedem Tag, den wir hier sitzen und warten, schwächer werden. Es dauert nicht mehr lange, dann können wir überhaupt keine Boote mehr ziehen. Wenn wir im Terror -Lager bleiben, werden wir zu Dutzenden sterben, und dann braucht nicht mal mehr das Wesen aus dem Eis zu kommen, um uns zu verschleppen oder im Schlaf zu töten.«
    Der Steward nickte wieder. Er hatte den Blick auf seine Fäustlinge gesenkt.
    »Wir sind nicht im selben Schleppgespann, wir kommen nicht in dasselbe Boot und finden vielleicht nicht zusammen, wenn sich die Kapitäne für verschiedene Fluchtwege entscheiden. Deshalb möchte ich mich jetzt von dir verabschieden und es kein zweites Mal tun müssen.«
    Bridgens bewegte stumm den Kopf. Der Nebel zog über die Boote und Schlitten hinweg wie der kalte Atem einer fremden Gottheit.
    Peglar umarmte ihn. Einen kurzen Augenblick lang stand Bridgens steif und zerbrechlich da, dann erwiderte er die Umarmung, und beide hielten sich in ihren dicken Plünnen unbeholfen aneinander fest.
    Dann drehte sich der Vortoppmann um und wanderte langsam zurück zum Lager, zu seinem runden Hollandzelt, in dem
sich eine Gruppe ungewaschener Männer, die gerade dienstfrei hatten, zitternd in unzureichenden Schlafsäcken zusammendrängte.
    Als er stehen blieb und zurück zu den Booten blickte, war nichts mehr von Bridgens zu sehen. Es war, als hätte ihn der Nebel verschluckt.

43
Crozier
    69°37′42′′ NÖRDLICHE BREITE | 98°41′ WESTLICHE LÄNGE 25. APRIL 1848
     
     
     
    C rozier schlief im Gehen ein. Er und Fitzjames waren die zwei Meilen durch den Nebel zu James Ross’ Steinmal marschiert und hatten darüber beraten, was dafür und was dagegen sprach, die Männer noch einige Tage im Lager bleiben zu lassen.
    Plötzlich schüttelte ihn Fitzjames, und er fuhr hoch.
    »Wir sind da, Francis. Dort drüben ist der große weiße Felsbrocken kurz vor dem Küsteneis. Der Victory Point und das Steinmal müssen links von uns sein. Hast du wirklich im Gehen geschlafen?«
    »Nein, natürlich nicht«, krächzte Crozier.
    »Aber warum hast du dann wirres Zeug geredet wie: ›Wahrschau, ein Boot mit zwei Skeletten!‹ und ›Wahrschau, die Mädchen am Séancetisch!‹ Wir haben uns gerade darüber unterhalten, ob Dr. Goodsir mit den Schwerkranken im Terror -Lager zurückbleiben soll, während die Kräftigeren mit vier Booten zum Großen Sklavensee aufbrechen.«
    »Hab nur laut vor mich hingedacht«, murmelte Crozier.
    »Wer ist Memo Moira? Und warum soll sie dich nicht zur Kommunion schicken?«

    Crozier zog Mütze und Schal herunter; vielleicht würden ihn der Nebel und die kalte Luft, die ihm jetzt ins Gesicht schlugen, etwas wacher machen. »Wo ist dieses verdammte Steinmal?«
    »Ich weiß es nicht.« Fitzjames stapfte neben ihm die leichte Anhöhe hinauf. »Eigentlich müsste es genau hier sein. Ich kenne den Weg genau: an der Küste entlang zu dem weißen Felsbrocken kurz vor den Eisbergen und dann nach links zum Steinmal am Victory Point.«
    »Wir können doch nicht daran vorbeigelaufen sein«, knurrte Crozier. »Sonst wären wir schon längst draußen auf dem verfluchten Packeis.«
    Sie brauchten eine Dreiviertelstunde, um das Mal im Nebel zu finden. Als Crozier die Vermutung äußerte, dass es vielleicht von der weißen Bestie versetzt worden war, um sie zu drangsalieren, blickte Fitzjames seinen Kommandanten nur schweigend an.
    Wie zwei Blinde tasteten sie sich in dem wallenden Dunst voran, ohne sich auch nur einen Moment voneinander zu trennen

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