Terror
der Dämmerung. Im Nordwesten grollte weiterhin der Donner.
Crozier hauchte auf das tragbare Tintenfässchen, um es zu erwärmen, und tauchte die Feder durch den Eisflor. Nachdem er die Spitze am Ärmel abgewischt hatte, begann er zu schreiben.
(25. April) – HMS Terror und Erebus wurden am 22. April 5 Seeleugen N.N.W. von diesem Ort aufgegeben, nachdem sie seit dem 12. September 1846 im Eis eingeschlossen waren. Offiziere und Mannschaften, insgesamt 105 Mann, unter dem Kommando von Kapitän F.R.M. Crozier, gingen hier – 69°37 ′ 42 ′′ nördl. Br. und 98°41 ′ westl. L. – an Land. Dieses Papier wurde von Lt. Irving unter dem Steinmal gefunden, welches Sir John Ross angeblich 1831 4 Meilen weiter nördlich errichtet hatte, wo es der verstorbene Commander Gore im Juni 1847 hinterlegt hatte. Sir James Ross’ Steinmal wurde jedoch nicht gefunden, und so wurde das Papier an diese Position verbracht, an der Sir J. Ross’ Säule errichtet worden war …
Crozier stockte. Was schreibe ich da eigentlich, verdammt noch mal? Er las seine letzten Sätze noch einmal durch. Unter dem Steinmal, welches Sir John Ross angeblich 1831 4 Meilen weiter nördlich errichtet hatte? Sir James Ross’ Steinmal wurde jedoch nicht gefunden?
Crozier stieß ein müdes Seufzen aus. Als John Irving im vergangenen
August die erste Ladung Ausrüstung von den Schiffen nach King-William-Land geschafft hatte, hatte er den Befehl, nach dem Victory Point und nach Ross’ Steinmal zu suchen und einige Meilen südlich davon in einer etwas besser geschützten Bucht die Vorräte für das spätere Terror -Lager anzulegen. Auf der ersten grob gezeichneten Karte hatte Irving das Mal vier Meilen von den Vorräten entfernt eingetragen. Bei den späteren Schlittentransporten hatten sie dann aber festgestellt, dass die Entfernung nur zwei Meilen betrug. In seiner Erschöpfung schien es Crozier irgendwie wahrscheinlich, dass Gores Botschaft aus einem falschen Ross-Mal genommen und zu diesem richtigen Ross-Mal gebracht worden war.
Kopfschüttelnd blickte er Fitzjames an, doch der andere Kapitän hatte die Arme auf seine erhobenen Knie und den Kopf auf die Arme gelegt. Er schnarchte leise.
Crozier nahm das Papier, die Feder und das Tintenfässchen in eine Hand und schaufelte mit der anderen Schnee zusammen, um ihn sich ins Gesicht zu reiben. Die Kälte ließ ihn auffahren.
Reiß dich zusammen, Francis. Um Himmels willen, reiß dich zusammen! Wenn er nur ein anderes Stück Papier gehabt hätte, um von neuem beginnen zu können. Angestrengt starrte er auf das Gekritzel, das sich wie vertrocknete Ameisen über den Rand des Blatts zog. In der Mitte stand der vorgedruckte Satz des Navy-Formulars: »Wer diesen Zettel findet, wird hierdurch ersucht, denselben an den Sekretär der Admiralität einzusenden, mit gefälliger Angabe, an welchem Ort und zu welcher Zeit er gefunden worden ist.« Der gleiche Satz wurde auf Französisch, Spanisch, Holländisch und Dänisch wiederholt. Darüber befand sich Gores geschriebene Mitteilung. Crozier konnte seine eigenen Worte schon kaum mehr lesen. Die Buchstaben waren zittrig, schmal und schwach. Es war ganz offensichtlich die Schrift eines halb erfrorenen, zu Tode erschöpften Mannes.
Nicht so wichtig , dachte er. Entweder wird das nie jemand lesen oder erst lang nach unserem Tod. Ganz und gar unwichtig. Vielleicht hat Sir John das von Anfang an geahnt. Vielleicht hat er deswegen auf der Beechey-Insel keine Messingzylinder mit Nachrichten hinterlassen. Er hat es die ganze Zeit gewusst.
Er tauchte die Feder in die fast schon erstarrte Tinte und schrieb.
Sir John Franklin starb am 11. Juni 1847, und bis zum heutigen Tage belaufen sich die gesamten Verluste der Expedition auf 9 Offiziere und 15 Seeleute.
Wieder hielt Crozier inne. Stimmte das auch? War in dieser Zahl auch John Irving enthalten? Es gelang ihm nicht, die Rechnung zu bewerkstelligen. Gestern waren es noch einhundertvier Leute unter seinem Befehl gewesen, ihn mitgezählt also einhundertfünf. Einhundertfünf, als er die Terror aufgab, sein Schiff, seine Heimat, sein Leben …
Er ließ die Zahl stehen.
Nachdem er das Blatt umgedreht hatte, kritzelte er auf den freien Platz an der Kopfseite: F.R.M. Crozier und danach Kapitän und ranghöchster Offizier.
Er stieß Fitzjames an, um ihn aufzuwecken. »James … du musst hier unterschreiben.«
Der andere Kapitän rieb sich die Augen. Ohne die Nachricht zu lesen, schrieb er seinen Namen an die Stelle,
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