Terror
konnten, war es möglich, dass die Schwächeren mitfuhren, sich ein wenig erholten und nach einigen Stunden wieder in die Geschirre einreihten. Aber wenn die Zahl der Kranken und Verletzten noch weiter anstieg, bedeutete das das Ende ihres Marsches.
Inzwischen wurden die Männer so sehr von Durst geplagt, dass jedes Bächlein und jede Pfütze Grund genug zum Anhalten war. Dann warfen sie sich auf den Boden und leckten das Wasser auf wie Hunde. Blanky wusste, dass sie alle schon vor drei Wochen verdurstet wären, wenn es nicht getaut hätte. Es gab fast keinen Holzgeist für die Kocher mehr. Zuerst glaubten sie ihren Durst durch das Schmelzen von Schnee im Mund stillen zu können, aber dadurch wurde der Körper nur noch mehr ausgelaugt. Immer wenn sie die Boote über einen Bach oder ein Rinnsal zerrten, von denen inzwischen schon einige aufgetaut waren, füllten sie ihre Wasserflaschen, die sie nun nicht mehr dicht am Körper tragen mussten, um sie vor dem Einfrieren zu schützen.
Auch wenn der Durst nicht mehr lebensbedrohlich war, sah Blanky, dass der allgemeine Gesundheitszustand der Männer immer schlechter wurde. Die Unterernährung forderte ihren Tribut. In den vier Stunden Dämmerlicht, die ihnen Crozier täglich zum Ausruhen gewährte, falls sie keinen Wachdienst hatten, fanden die Männer vor lauter Hunger keinen Schlaf.
Für das einfache Aufschlagen und Abbrechen der Zelte, das sie vor zwei Monaten im Terror -Lager noch in zwanzig Minuten bewältigt hatten, brauchten sie jetzt zwei Stunden am Morgen und zwei am Abend. Je mehr Erfrierungen sie an den Fingern erlitten und je mehr sie anschwollen, desto länger dauerte es.
Nur wenige Männer konnten noch klar denken. Blanky selbst war da keine Ausnahme. Crozier schien von allen der Wachste, doch manchmal, wenn er sich unbeobachtet glaubte, erstarrte auch das Gesicht des Kapitäns zu einer totenähnlichen Maske der Teilnahmslosigkeit.
Seeleute, die in einer sturmdurchtosten, stockfinsteren Nacht auf einer schwankenden Rahe zweihundert Fuß über dem Deck mühelos die schwierigsten Knoten geschlungen hatten, konnten sich jetzt bei Tageslicht nicht einmal mehr die Schuhe binden. Außer Blankys künstlichem Bein, den Booten, Masten und Schlitten, die sie schleppten, und den beiden verlassenen Schiffen gab es in einem Umkreis von dreihundert Meilen kein Stück Holz. Unter der Oberfläche war der Boden immer noch hart gefroren. So mussten die Männer bei jedem Halt Steine sammeln, um die Zeltwände zu beschweren und die Zeltschnüre zu verankern, weil in der Nacht unweigerlich der Wind auffrischte.
Auch diese Arbeit zog sich endlos hin. Häufig schliefen die Männer im Stehen mit Steinen in den Händen ein. Und manchmal war es ihren Maaten sogar zu mühsam, sie wachzurütteln.
So kam es, dass Blanky es als Zeichen verstand, als am späten Nachmittag des 18. Juni 1848 sein drittes Bein knapp unter dem blutenden Kniestumpf brach.
An diesem Tag hatte Dr. Goodsir wenig Arbeit für ihn, und Blanky war ein Stück zurückgehumpelt, um die letzten Boote des zweiten Zugs zu begleiten. Plötzlich hatte sich sein künstlicher Fuß zwischen zwei Steinen verfangen, und das Holzbein riss einfach ab. Dass es so weit oben entzweigegangen war und er sich ganz gegen seine sonstige Gewohnheit am Ende des Trosses befand, fasste er ebenfalls als Zeichen der Götter auf.
Er ließ sich bequem auf einem Felsbrocken in der Nähe nieder, kramte seine Pfeife heraus und stopfte sie mit den letzten Krümeln Tabak, die er schon seit Wochen aufgespart hatte. Obwohl er seit dem Angriff des Ungeheuers im Dezember nur noch drei Finger besaß, beherrschte er diese Handgriffe inzwischen mühelos.
Als einige der Seeleute in ihren Geschirren innehielten und ihn fragten, was er da mache, antwortete Blanky: »Hab mich
nur ein Weilchen hingesetzt. Mein Stumpf braucht eine kleine Rast.«
Auch Sergeant Tozer, der an diesem sonnigen Tag die Nachhut der Seesoldaten anführte, hielt an, um Blanky mit müder Stimme zu fragen, weshalb er sich von dem Zug hatte überholen lassen.
Der Eislotse sah ihn an. »Kümmer dich nicht drum, Solomon.« Blanky redete den beschränkten Sergeant gern beim Vornamen an, um ihn zu ärgern. »Du trollst dich jetzt einfach mit deinen Rotröcken und lässt mich in Frieden, verstanden?«
Eine halbe Stunde später, als die letzten Boote schon Hunderte von Faden südlich von ihm waren, erschien Kapitän Crozier in Begleitung von Mr. Honey. »Verdammt noch mal, was soll das,
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