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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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bestimmt. Aber er ist ein Eislotse, wie Sie ihn sich nicht besser wünschen können. Als Ersatz, meine ich.«
    Crozier und Honey schüttelten ihm die Hand. Dann wandten sie sich eilig ab, um das letzte Boot einzuholen, das bereits über einen fernen Hügelkamm im Süden verschwunden war.

     
     
    Es war nach Mitternacht, als es auftauchte.
    Schon vor Stunden war Blanky der Tabak ausgegangen, und das Wasser war in der Flasche gefroren, die er dummerweise auf einem Stein neben sich hatte stehen lassen. Er hatte Schmerzen, wollte aber nicht schlafen.
    Im Zwielicht glommen einzelne Sterne. Wie meistens am Abend war der Wind aus dem Nordwesten aufgefrischt, und die Temperatur war seit Mittag etwa um zwanzig Grad gesunken.
    Blanky hatte das zerbrochene Holzbein, das Gelenk und die Gurte auf einen Felsbrocken gelegt. Sein brandiges Bein tat ihm weh, und in seinem leeren Magen rumorte es, aber die schlimmsten Schmerzen spürte er im Unterschenkel und Fuß – Phantomschmerzen.
    Auf einmal war das Wesen da.
    Es muss durch ein Loch im Eis gekommen sein. Blanky musste an einen Jahrmarkt in Tunbridge Wells denken, den er als Junge besucht hatte, einen Jahrmarkt mit einer wackligen Holzbühne und einem Zauberer in violetter Seide und einem hohen Spitzhut, der mit Planeten und Sternen bestickt war. Dieser Zauberer war genauso plötzlich aufgetaucht – nur dass er eine Falltür benutzt hatte, um den ländlichen Zuschauern ein erstauntes Ohh und Ahh zu entlocken.
    »Wir kennen uns ja schon«, sagte Blanky zu dem Schemen auf dem Eis.
    Das Wesen richtete sich langsam auf die Hinterbeine auf. Der Eislotse war überzeugt davon, dass die Ursprünge dieses dunklen Geschöpfs aus Haaren und Muskeln mit den vom Sonnenuntergang gefärbten Klauen und den schwach schimmernden Zähnen viel weiter in die Vergangenheit zurückreichten als jede Erinnerung der Menschheit an ihre Frühgeschichte. Blanky schätzte seine Größe auf zwölf oder vielleicht vierzehn Fuß.
    Seine Augen, die tiefschwarz in der schwarzen Silhouette verschwanden,
spiegelten das Licht der sterbenden Sonne nicht wider.
    »Bist spät dran.« Blanky konnte nicht verhindern, dass seine Zähne klapperten. »Ich hab dich schon lange erwartet.« Er schleuderte das Holzbein und den knarrenden Gurt nach der Gestalt.
    Das Wesen machte keinen Versuch, dem plumpen Wurfgeschoss auszuweichen. Eine Minute lang ragte es wie ein Turm vor ihm auf, dann stürzte es nach vorn. Die Beine schienen sich überhaupt nicht zu bewegen, als die gewaltige Gestalt über den Fels und das Eis auf den Eislotsen zuschoss und mit dunkel ausgebreiteten Armen sein Gesichtsfeld ausfüllte.
    Mit einem letzten grimmigen Lächeln schlug Thomas Blanky die Zähne in den Stiel seiner erkalteten Pfeife.

46
Crozier
    BREITE UNBEKANNT | LÄNGE UNBEKANNT
4. JULI 1848
     
     
     
    D as Einzige, was Francis Rawdon Moira Crozier auch in der zehnten Woche des Bootsmarsches noch antrieb, war die blaue Flamme in seiner Brust. Je müder, leerer und kränker sein Körper wurde, je mehr er an physischer Kraft verlor, desto heißer und heller brannte die Flamme. Er wusste, dass sie nicht nur eine Metapher für seine Entschlossenheit war. Oder für ungebrochene Zuversicht. Die blaue Flamme in seiner Brust hatte sich wie eine fremde Wesenheit zu seinem Herzen vorgegraben und sich in ihm festgesetzt: eine Seuche, ein beinahe unerwünschter innerster Kern der Überzeugung, dass er alles daransetzen würde, um zu überleben. Alles.
    Manchmal wollte Crozier fast darum beten, die blaue Flamme möge erlöschen, damit er sich endlich in das Unvermeidliche schicken und auf der gefrorenen Tundra zum Schlafen hinlegen konnte wie ein Kind, das sich unter seine Decke schmiegt.
    Heute hatten sie angehalten – zum ersten Mal seit einem Monat zogen sie keine Boote und Schlitten. Sie hatten Ausrüstung abgeladen und mit unbeholfenen Fingern das große Krankenzelt aufgeschlagen, wenn auch nicht die Messezelte. Die Männer gaben
diesem an sich wenig bemerkenswerten Ort an der Südküste von King-William-Land den Namen Lazarettlager.
    In den vergangenen zwei Wochen hatten sie das schartige Eis einer riesigen Bucht an der Unterseite des Kaps überquert, das sich für die schleppenden Männer schier endlos nach Südwesten zu erstrecken schien. Doch jetzt ging der Weg an der Küste wieder nach Südosten – dorthin, wo der Große Fischfluss lag.
    Crozier hatte seinen Sextanten und den Theodolit in der Tasche, Leutnant Little hatte sein Gerät

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