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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Krachen und Kichern des Eises von draußen; und, als nicht alltägliche Dreingabe zu diesen Ausnahmen, ruhig bis auf das hohe Jaulen eines heftigen Windes.
    Aber weder der Wind noch das Eis haben Crozier geweckt. Es war eindeutig ein Schuss. Ein Schuss aus einer Flinte – gedämpft durch Eichenplanken, Eis und Schnee, aber trotzdem unverkennbar der Knall einer Schrotflinte.

    Crozier, der in seinen Kleidern schläft, hat sich jetzt weitere Schichten übergestreift und greift nach seinen Kaltwetterplünnen, als er das unverkennbare leise Dreifachklopfen seines Stewards Thomas Jopson vernimmt. Der Kapitän schiebt die Tür auf.
    »Unruhe an Deck, Sir.«
    Crozier nickt. »Wer hat heute Nacht Wache, Thomas?« Ein Blick auf seine Taschenuhr zeigt, dass es kurz vor sechs Glasen der Mittelwache ist. Einen Moment bevor Jopson die Namen ausspricht, fallen sie ihm aus der Monats- und Tageseinteilung wieder ein.
    »Billy Strong und der Gefreite Heather.«
    Crozier nickt erneut. Er nimmt einen Revolver aus dem Schrank und steckt ihn in den Gürtel, nachdem er kurz das Zündpulver überprüft hat. Dann drängt er sich an dem Steward vorbei durch die Offiziersmesse, die backbord neben der winzigen Kapitänskajüte liegt. Nach einer weiteren Tür gelangt er zum Hauptniedergang.
    Auf dem Unterdeck ist es um diese Zeit fast überall dunkel, nur der Schein um Mr. Diggles Herd erlischt natürlich nie. Doch während Crozier am Fuß des Niedergangs kurz anhält, um seine Plünnen vom Haken zu reißen und hastig überzuziehen, beginnt es bereits in mehreren Offiziers- und Mannschaftslogis zu flackern.
    Türen öffnen sich. Der Erste Unterleutnant Hornby eilt auf Crozier zu. Durch den Kajütgang nähert sich der Erste Leutnant Little mit drei Büchsen und einem Säbel. Dicht hinter ihm folgen die Leutnants Hodgson und Irving, ebenfalls bewaffnet.
    Vorn im Mannschaftslogis grummeln die tief in ihre Decken vergrabenen Seeleute, aber ein Steuermannsmaat, der einen Einsatztrupp zusammenstellen will, wirft die Schlafenden ohne lange Umstände aus ihren Hängematten und bugsiert sie nach achtern zu ihren Plünnen und den Waffen.

    »War schon jemand an Deck, um nachzuschauen?«, fragt Crozier seinen Ersten Unterleutnant.
    »Mr. Male hatte Dienst, Sir. Er ist sofort hochgestiegen, nachdem er den Steward zu Ihnen geschickt hatte.«
    Reuben Male ist Backsgast. Ein besonnener Mann. Der Matrose Billy Strong, der oben die Steuerbordwache schiebt, ist bereits früher auf der HMS Belvidera zur See gefahren, wie Crozier weiß. Der andere Wachhabende ist William Heather, der älteste und nach Croziers Einschätzung auch dümmste Seesoldat an Bord.
    Trotz seiner fünfunddreißig Jahre ist Heather immer noch einfacher Gefreiter. Er ist häufig krank, oft betrunken und meistens völlig nutzlos. Man hätte ihn vor zwei Jahren in der Disko-Bucht zusammen mit seinem besten Freund Billy Aitken entlassen und auf der HMS Rattler nach Hause schicken sollen.
    Crozier schiebt den Revolver in die riesige Tasche seines schweren wollenen Überrocks und wickelt sich einen Schal ums Gesicht. Dann lässt er sich von Jopson eine Laterne reichen und steigt vor den anderen die krängende Treppe hinauf.
     
     
    Draußen ist es schwarz wie im Bauch eines Wals – keine Sterne, kein Polarlicht, kein Mond. Und es ist kalt . Als der junge Irving vor sechs Stunden zum Messen nach oben geschickt wurde, betrug die Temperatur an Deck zweiundfünfzig Grad unter null. Und jetzt faucht auch noch ein wilder Wind durch die Maststümpfe und über das schräge Deck und treibt dichten Schnee vor sich her. Crozier tritt unter der gefrorenen Segeltuchkuppel über der Hauptluke hervor und hält sich den Fäustling seitlich ans Gesicht, um die Augen zu schützen. Drüben an Steuerbord sieht er eine Laterne schimmern.
    Reuben Male hat sich kniend über den Gefreiten Heather gebeugt, der auf dem Rücken liegt. Er hat seine Welsh Wig und
Mütze verloren und, wie Crozier jetzt bemerkt, auch einen Teil seines Schädels. Es ist kein Blut zu sehen, aber das Gehirn des Seesoldaten glitzert im Laternenlicht – schon hat sich über der grauen breiigen Masse eine Schicht aus Eiskristallen gebildet.
    »Er lebt noch, Sir«, sagt der Backsgast.
    »Gottverdammte Schweinerei«, lässt sich einer der Seeleute vernehmen, die sich hinter Crozier drängen.
    »Schluss damit!«, fährt der Erste Unterleutnant dazwischen. »Hier wird nicht geflucht, verdammt. Du sprichst nur, wenn du gefragt wirst, Crispe.«

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