Terror
Deck scheuern, bis es blitzblank ist. Trotz der vielen Arbeit sind alle Seeleute in bester Stimmung, weil ihnen für den
heutigen Abend nicht nur ein Festmahl, sondern auch eine Sonderration Grog versprochen wurde.
Neben den fünf Invaliden wird Sir John auch die Musterrollen vom Juni sowie officielle Depeschen und sämmtliche persönlichen Briefe mit der Baretto Junior zurücksenden. So ist zu vermuthen, daß in den nächsten Tagen alle fleißig Briefe schreiben werden.
Nach dem Ende dieser Woche werden wir die nächsten Briefe, welche unsere Liebsten erreichen, erst aus Rußland oder China abschicken!
Den 12. Julius 1845
Wieder ein Aufbruch, der vielleicht schon der letzte vor der Nordwest-Durchfahrt seyn könnte. Heute morgen stachen wir in See und segelten von Grönland aus in westliche Richtung, während uns die Mannschaft der Baretto Junior zum Abschied ein dreifaches, herzhaftes Hurra! zurief und ihre Mützen schwenkte. Gewiß werden dies die letzten Weißen seyn, deren wir ansichtig werden, bis wir in Alaska anlangen.
Den 26. Julius 1845
In unserer Nähe sind zwey Walfänger – die Prince of Wales und die Enterprise – vor Anker gegangen; wir selbst haben an einem schwimmenden Eisberge festgemacht. Und inzwischen hatte ich schon reichlich Gelegenheit, mit Officieren und Mannschaftsmitgliedern über Weiße Bären zu plaudern.
Außerdem hatte ich das überaus zweifelhafte Vergnügen, heute morgen diesen riesigen Gletscher zu erklimmen. Schon gestern früh kletterten Matrosen hinauf, indem sie mit ihren Äxten Stufen aus dem Eis schlugen und für die weniger Behenden unter uns feste Seile spannten. Sir John ertheilte Befehl, auf dem Gipfel des Eisbergs, welcher mehr als doppelt so hoch aufragt als unser höchster Mast, ein Observatorium zu errichten. Während Leutnant Gore und mehrere Officiere der Terror dort oben atmosphärische und astronomische Messungen vornehmen – sogar ein Zelt wurde
aufgeschlagen für die Muthigen, die in diesen luftigen Höhen die Nacht zu verbringen gedenken –, nutzen unsere Eislothsen, Mr. Reid von der Erebus und Mr. Blanky von der Terror , das Tageslicht, um durch ihre Messingsehrohre nach Westen und Norden Ausschau zu halten, vermittels derer sie, wie ich höre, den sichersten Weg durch das beinahe schon allenthalben zugefrorene Eismeer zu finden suchen. Edward Couch, unser jüngster Unterleutnant, der stets zuverlässig und erschöpfend Auskunft gibt, hat mich wissen lassen, daß die arctische Jahreszeit für eine Durchfahrt durchs Eis schon sehr weit fortgeschritten sey, ganz zu schweigen von der sagenumwobenen Nordwest-Passage.
Der Anblick der Erebus und Terror unter uns, die mit einem Gewirr von Seilen – als seeerprobter Fahrensmann darf ich nicht vergessen, selbige stets als »Leinen« zu bezeichnen – an dem Gletscher festgemacht sind, insgleichen der höchsten Krähennester auf beiden Schiffen, welche weit unter meinem gefahrvollen, eisigen, alles überragenden Hochsitze schwebten, verursachte mir einen tiefen, erregenden Schwindel.
In der That war es berauschend, dort oben Hunderte von Fuß über der See zu verweilen. Der Gipfel des Eisberges hat fast die Größe eines Kricket-Feldes, und das Zelt, in welchem unser meteorologisches Observatorium untergebracht ist, wirkte völlig fehl am Platze auf dem blau schimmernden Eise. Indeß sah ich mich in meiner Hoffnung auf einige Augenblicke stiller Contemplation enttäuscht, da die Männer auf dem Gipfel unseres Eiskolosses ununterbrochen Flintenschüsse abgaben, um Hunderte von Vögeln – dem Vernehmen nach Seeschwalben – zu erlegen. Diese großen Mengen frischen Geflügels sollen eingepökelt und eingelagert werden, wenngleich der Himmel allein weiß, wo diese zusätzlichen Fässer noch Platz finden möchten, da unsere Schiffe ohnehin schon unter der Last der Vorräthe ächzen und bedenklich tief im Wasser liegen.
Dr. MacDonald, der Hülfsarzt an Bord der Terror – mein College sozusagen – vertritt die Theorie, daß stark gesalzene Lebensmittel als Antiscorbuticum weniger wirksam seyen denn frische, nicht gesalzene Victualien. Da nun die gewöhnlichen Seeleute auf beiden Schiffen ihr Salzfleisch allen anderen Gerichten vorziehen, besorgt Dr. MacDonald, daß das
eingepökelte Geflügel unsere Widerstandskräfte gegen den Scorbut kaum stärken werde. Dagegen hält Stephen Stanley, unser Schiffsarzt auf der Erebus , derley Sorgen für unbegründet. Er verweist darauf, daß wir
Weitere Kostenlose Bücher