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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Leutnant Little, wohin wir gegangen sind, wenn er mit dem Suchtrupp herunterkommt. Und sagen Sie ihm um Himmels willen, seine Leute sollen bloß schießen, wenn sie ganz sicher sind, dass es keiner von uns ist.«
    »Jawohl, Kapitän Crozier.«
    Die nächste Anweisung des Kapitäns gilt Hodgson. »George, Sie und Armitage gehen ungefähr zehn Faden dort rüber zum Bug, dann bewegen Sie sich parallel zu uns, während wir in
Richtung Süden vordringen. Achten Sie darauf, dass Sie unsere Laterne noch sehen können.«
    »Aye aye, Sir.«
    »Tom«, sagt Crozier zu dem letzten noch verbleibenden Mann, dem Schiffsjungen Evans, »du kommst mit mir. Halt die Baker-Büchse schussbereit, aber nur mit halb gespanntem Hahn.«
    »Aye aye, Sir.« Dem Burschen klappern heftig die Zähne.
    Crozier wartet, bis sich Hodgson zehn Faden nach rechts entfernt hat und seine Laterne gerade noch durch den treibenden Schnee schimmert. Dann führt er Evans hinaus in das Gelände aus frostigen Zacken und Zinnen, den Blick fest auf die Blutflecken im Eis gerichtet. Schon in wenigen Minuten werden die schwachen Spuren vom Schnee verweht sein. Der Kapitän macht sich nicht einmal die Mühe, den Revolver aus der Tasche seines Überwurfs zu ziehen.
    Nach weniger als fünfzig Faden, als die Laternen der Männer an Deck der Terror kaum mehr zu erkennen sind, stößt Crozier auf einen jener großen Eishaufen, die entstehen, wenn die Schollen unter der Meeresoberfläche gegeneinandermahlen und sich ineinander verkeilen.
    Seit zwei Wintern erleben Crozier und die anderen Teilnehmer der Expedition, wie diese Pressrücken gleichsam aus dem Nichts auftauchen. Donnernd und krachend erheben sie sich über der gefrorenen See, manchmal schneller, als ein Mann laufen kann.
    Der Kamm ist mindestens dreißig Fuß hoch, eine enorme senkrechte Mauer aus Eisbrocken, von denen jeder mindestens die Größe eines Einspänners hat.
    Die Laterne so hoch in der Luft wie möglich, tastet sich Crozier an dem Rücken entlang. Hodgsons Licht im Westen ist mittlerweile verschwunden. Von der Terror aus bietet sich ohnehin in keiner Richtung mehr ein weiter Ausblick. Überall verstellen Eiszinken, Schneewechten und Pressrücken die Sicht. Selbst auf
der einen Meile zwischen der Terror und der Erebus ragt ein Eisberg auf, und in mondhellen Nächten sind ein halbes Dutzend weitere zu sehen.
    Doch dies hier ist kein Eisberg, nur ein zwei Stockwerke hoher Kamm.
    »Da!«, ruft Crozier in den Wind. Evans tritt heran, die Baker-Büchse im Anschlag.
    An der weißen Eiswand prangt ein schwarzer Blutfleck. Das Ungeheuer hat William Strong über den Hang fast senkrecht hinaufgeschleppt.
    Crozier beginnt zu klettern. Die Laterne in der rechten Hand sucht er mit der linken nach Rissen und Spalten für seine kältestarren Finger und vereisten Stiefel. Vorhin war keine Zeit, das Paar anzuziehen, in das Jopson zum besseren Halt auf glatten Flächen lange Nägel eingeschlagen hat. Seine gewöhnlichen Seemannsstiefel rutschen immer wieder ab. Aber Crozier steigt weiter auf, und fünfundzwanzig Fuß über dem Boden, knapp unter der schartigen oberen Eiskante des Hügels entdeckt er das nächste Blut.
    Die Laterne fest im Griff, tritt er mit dem linken Bein gegen eine schräge Eisplatte, um Halt zu finden. Dann stemmt er sich hinauf zum Gipfel, der wollene Überzieher scheuert ihm kräftig über den Rücken. Der Kapitän spürt seine Nase nicht mehr, und auch die Finger sind völlig taub.
    »Kapitän Crozier«, ruft Evans aus der Dunkelheit, »soll ich hochkommen?«
    Crozier ringt keuchend nach Luft und braucht einige Sekunden, um zu antworten. »Nein … bleib unten.« Jetzt ist im Nordwesten der schwache Schein von Hodgsons Laterne aufgetaucht  – der Leutnant und Armitage sind noch fünfzehn Faden von dem Eiskamm entfernt.
    Mit einem Arm rudernd und weit nach rechts gebeugt, weil der Sturm seinen Schal in einer geraden Linie nach links bläst
und ihn in die Tiefe zu reißen droht, hält Crozier die Laterne über die Südseite des Eisrückens hinaus.
    Hier stürzt der Kamm fünfunddreißig Fuß nach unten. Keine Spur von William Strong, keine Spur von schwarzen Flecken auf dem Eis, nichts, was darauf hindeutet, dass irgendjemand, ob lebendig oder tot, diesen Weg genommen hat. Crozier kann sich nicht vorstellen, dass irgendein Wesen diese steile Eiswand hinunterklettern kann.
    Der Kapitän bemerkt, dass ihm die Wimpern fast ans Gesicht gefroren sind. Kopfschüttelnd macht er sich an den Abstieg.

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