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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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über den Rücken, und ich bemerkte, daß mehrere Männer vor Entsetzen den Mund aufrissen.
    »Ganz ruhig, Maaten«, knurrte Mr. Couch vom Bug aus. »Das ist nur das Blut von Robben, welche von Polarbären angefallen wurden. Solches haben wir in den Sommern schon zur Genüge gesehen.«
    Im Leitboote beruhigte Capitain Crozier seine Leute mit ähnlichen Worten.
    Wenig später wußten wir allerdings, daß diese karmesinrothen Zeichen eines Gemetzels nicht das Werk von Polarbären waren, welche unter Robben gewüthet hatten.
    »O Gott!«, entfuhr es dem Rudergänger Coombs. Alle hörten auf zu pullen. Die drey Walboote, vier Kutter und zwey Pinassen glitten in eine Art Kreis im kabbeligen, roth gefärbten Wasser.
    Der Bug von Leutnant Littles Walboot ragte senkrecht aus der See. Der schwarze Schriftzug des Namens Lady J. Franklin war deutlich zu erkennen.
Doch es war nur der vordere Theil, der dahintrieb, denn das Boot war rund vier Fuß hinter dem Bug auseinandergebrochen. Unter der Oberfläche des dunklen, eisigen Wassers waren die zersplitterten Duchten und Bootswände zu erkennen.
    Unsere neun verbliebenen Boote schwärmten langsam aus, und die Männer machten sich daran, weiteres Treibgut einzusammeln: ein Ruder, zerschmetterte Holzstücke von Dollbord und Heck, eine Pinne, eine Welsh Wig, eine leere Patronentasche, einen Fäustling.
    Als der Matrose Ferrier mit einem Bootshaken etwas herauszuziehen suchte, was aussah wie der Theil eines blauen Gewandes, schrie er plötzlich entsetzt auf und hätte fast den Haken fallen lassen.
    Was dort trieb, war eine in blaue Wolle gekleidete Leiche ohne Kopf, deren Arme und Beine nach unten ins Wasser hingen. Der Hals war nur noch ein abgetrennter Stumpf. Die Finger, welche merkwürdig breit und kurz wirkten, bewegten sich wie weiße schlängelnde Würmer auf den leichten Wellen. Fast hatte es den Anschein, als wollte uns der stumme Todte mittels Gebärdensprache etwas mittheilen.
    Ich half Ferrier und McConvey, den Verblichenen an Bord zu holen. Fische oder sonstiges Wassergethier hatten seine Finger bis zum zweyten Gliede abgenagt, doch die große Kälte hatte das Aufschwemmen und die Verwesung verzögert.
    Capitain Crozier wendete, bis sein Bug unsere Bootswand berührte.
    »Wer ist es?«, flüsterte ein Matrose.
    »Das ist Harry Peglar«, rief ein anderer. »Die Pijacke kenne ich.«
    »Harry Peglar hatte kein grünes Wams an«, warf ein Dritter ein.
    »Aber Sammy Crispe!«, ließ sich ein vierter Seemann vernehmen.
    »Ruhe!«, donnerte Capitain Crozier. »Dr. Goodsir, hätten Sie bitte die Güte, die Taschen unseres unglücklichen Schiffsmaats umzudrehen.«
    Ich that wie geheißen. Aus der großen Tasche des nassen Wamses zog ich einen fast leeren Tabaksbeutel aus rothem Leder.
    »Scheißdreck!«, stieß Thomas Tadman hervor, der neben Robert Ferrier in meinem Boot saß. »Das ist der arme Mr. Reid.«

    So war es in der That. Alle Männer erinnerten sich nun, daß der Eislotse am voraufgegangenen Abend über dem grünen Wamse nur seine blaue Pijacke getragen hatte, und wir alle hatten tausend Mal beobachtet, wie er aus diesem verblaßten rothen Lederbeutel seine Pfeife stopfte.
    Wir sahen Capitain Crozier an, als vermöchte nur er zu erklären, was unseren Schiffsmaaten zugestoßen war. Doch tief in unserem Herzen wußten wir es längst.
    »Verwahrt Mr. Reids Leiche unter der Bootsplane«, befahl der Capitain. »Wir suchen die Gegend nach Überlebenden ab. Alle bleiben in Sicht- und Rufweite.«
    Wieder schwärmten die Boote aus. Mr. Couch lenkte uns zurück in die Nähe der Fahrrinnenöffnung, und wir ruderten langsam an der Eiskante entlang, welche sich etwa vier Fuß über das Wasser erhob.
    Bei jedem Blutfleck hielten wir an, aber wir entdeckten keine Leichen mehr.
    Plötzlich stöhnte der dreißigjährige Francis Pocock auf, der die Ruderpinne im Heck bediente. »Verdammt, da sieht man die blutigen Furchen von Fingernägeln im Schnee. Das Ungeheuer muß den Mann ins Wasser gezerrt haben.«
    »Maul halten, du Kujon!«, polterte Mr. Couch. Die lange Stake locker in der Hand haltend wie eine wahrhafte Walfangharpune, stand er mit einem Fuß auf dem Buge und starrte die Rudergasten finster an, welche erschrocken verstummten.
    Im nordwestlichen Ausläufer des offenen Sees gab es drey solcher Blutflecken auf dem Eise. An der dritten Stelle, welche zehn Fuß hinter dem Eisrande lag, war jemand zerfleischt und gefressen worden. Von dem Opfer waren nur noch einige Beinknochen,

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