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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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mehrere abgenagte Rippen, zerschlissene Hautstücke sowie Kleiderfetzen übrig, aber kein Schädel oder andere eindeutig identificirbare Merkmale.
    »Setzen Sie mich bitte aufs Eis, Mr. Couch«, bemerkte ich, »damit ich die Überreste untersuchen kann.«
    An beinahe jedem anderen Ort der Erde hätten zahllose Fliegen das rohe Fleisch umschwirrt, ganz zu schweigen von den Eingeweidehaufen,
welche unter der dünnen Schneedecke aussahen wie die Erdhügel einer Taschenratte. Hier jedoch herrschte Stille – nur der Wind aus dem Nordwesten und das Ächzen des Eises waren zu vernehmen.
    Ich rief die Männer im Boote an, welche das Gesicht abgewendet hatten, und bekräftigte, daß eine Identificirung nicht möglich war. Auch aus den wenigen Resten der zerrissenen Gewänder erhielten wir keine Hinweise. Es gab kein Haupt, keine Stiefel, keine Hände, keine Beine, und vom Rumpfe war nichts erhalten außer den zerbissenen Rippen, einem sehnigen Stück der Wirbelsäule und einem halben Becken.
    »Bleiben Sie noch dort, Mr. Goodsir«, rief mir Couch zu. »Ich schicke Ihnen Mark und Tadman mit einem leeren Schrotbeutel für die Überreste des armen Kerls. Capitain Crozier möchte gewiss, daß er feierlich bestattet wird.«
    Es war fürwahr eine grausige Arbeit, welche glücklicher Weise bald erledigt war. Letztlich wies ich die zwey entsetzte Grimassen schneidenden Seeleute nur an, den Brustkasten und das halbe Becken in dem Beutel zu bergen, welcher in der That ein eigenthümliches Todtenhemd vorstellte. Die Rückenwirbel waren am Eise festgefroren, und die anderen Überreste waren gar zu abscheulich.
    Gerade als wir wieder vom Eise abgelegt und uns darangemacht hatten, den südlichen Rand des offenen Sees zu erkunden, ertönte aus dem Norden ein Ruf.
    »Mann in Sicht!«
    Mich dünkt, wir spürten alle unsere klopfenden Herzen. Coombs, McConvey, Ferrier, Tadman, Mark und Johns legten sich in die Riemen, während uns Francis Pocock zu einem großen, flachen Eisberge steuerte, der zwischen anderen Schollen in die Mitte der offenen Wasserfläche trieb. Wir alle wünschten nichts sehnlicher, als einen lebendigen Maat aus Leutnant Littles Boot zu finden.
    Indeß, es sollte nicht seyn.
    Capitain Crozier stand bereits auf dem Eise und rief mich zu dem hingestreckten Leichnam.
    Freilich muthete es mich ein wenig seltsam an, daß nicht einmal der
Capitain den Tod eines Mannes feststellen wollte, solange ich denselben nicht vorher untersucht hatte. In diesem Augenblicke empfand ich unendliche Müdigkeit.
    Es war Harry Peglar, der dort fast nackt lag. Nur in seine Unterwäsche gekleidet, hatte er die Knie zum Kinn nach oben gezogen und die Beine an den Knöcheln überkreuzt. Offenkundig hatte er versucht, sich warm zu halten, indem er die Arme immer fester an den Leib drückte und die Hände unter die Achseln schob. Das Ende mußte ihn unter heftigem Zittern ereilt haben.
    Seine weit aufgeschlagenen Augen waren glasig erstarrt. Sein Körper war blau gefroren und fühlte sich so hart an wie Marmor aus Carrara.
    »Er ist wahrscheinlich zu der Eisscholle geschwommen, hinaufgeklettert und dann erfroren«, bemerkte Mr. Des Voeux mit leiser Stimme. »Aber das Ungeheuer hat Harry nicht gepackt und auch nicht verstümmelt.«
    Crozier nickte nur. Ich wußte, daß der Capitain Harry Peglar sehr ins Herz geschlossen und sich immer auf ihn verlassen hatte. Auch ich mochte den Vortoppmann – so wie die meisten anderen.
    Dann fiel mir Croziers Blick auf. Überall auf der Eisscholle, und namentlich rings um Harry Peglars Leichnam, befanden sich riesige Fußabdrücke im frischen Schnee, welche große Ähnlichkeit mit den Tatzen eines Weißen Bären, jedoch unzweifelhaft das Zwey- oder Dreyfache von deren Größe besaßen.
    Das Wesen war viele Male um Harry herumgeschlichen. Um ihn zu beobachten, als er zitternd sein Leben aushauchte? Um sich an dem Anblick des Sterbenden zu weiden? Hatte Harry Peglar als letzten Eindruck von dieser Erde das Bild des hoch vor ihm aufragenden Ungeheuers wahrgenommen, welches ihn mit schwarzen Augen unverwandt anstarrte? Warum hatte das Wesen unseren Freund nicht angerührt?
    »Die Bestie hat die ganze Zeit auf zwey Beinen gestanden.« Mehr brachte Crozier nicht hervor.
    Endlich holten die Männer ein Stück Segeltuch aus den Booten.

     
     
    Der einzige Ausgang aus dem See im Eise war die bereits wieder zufrierende Rinne, durch welche wir gekommen waren. Zwey Umfahrungen der offenen Wasserfläche – mit den ersten

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