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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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wir morgen früh die Boote aufs Eis hinausschleppen, kommt jeder mit, der selbständig zu den Booten gehen und sich ins Geschirr stellen oder sich zumindest in ein Boot legen kann. Wenn er unterwegs stirbt, entscheiden wir später, ob wir die Leiche weiter mitziehen. Das heißt, ich entscheide. Aber morgen verlassen nur diejenigen das Rettungslager, die zu den Booten gehen können.«
    Keiner der anderen sprach, einige nickten. Niemand sah Des Voeux in die Augen.
    »Nachdem wir gegessen haben, gebe ich den Leuten Bescheid«, erklärte Des Voeux. »Ihr vier sucht euch jeder einen zuverlässigen Mann für die Nachtwache aus. Edward, du übernimmst die Einteilung. Die Betreffenden dürfen nicht so viel essen, dass sie vor Müdigkeit umfallen. Wir müssen hellwach sein – zumindest einige von uns –, bis wir sicher auf dem offenen Wasser sind.«
    Alle vier Männer nickten.
    »Also, dann wäre fürs Erste alles geklärt. Erzählt den Maaten jetzt von unserem Festessen.«

55
Goodsir
    20. AUGUST 1848
     
     
     
    Aus dem persönlichen Tagebuch
von Dr. Harry D. S. Goodsir:
     
     
    Sonntag, den 20. August 1848
    Der Teufel Hickey scheint all jene Gunst des Schicksals zu genießen, welche Sir John, Commander Fitzjames und Kapitän Crozier so viele Monathe und Jahre missen mußten. Sie ahnen nicht, daß ich aus Versehen mein Tagebuch in den Arztkoffer versorgt habe; oder vielmehr wissen sie es wahrscheinlich doch, da sie den Koffer nach meiner Gefangennahme vor zwey Tagen gründlich durchsucht haben, und es ist ihnen einerley. Ich theile mir ein Zelt mit Leutnant Hodgson, welcher nunmehr ebensosehr ein Gefangener ist wie ich selbst. Er stört sich nicht an meinem nächtlichen Gekritzel.
    Tief in meinem Innersten vermag ich noch immer nicht zu glauben, daß meine Maaten Lane, Goddard und Crozier auf solch grausige Weise ermordet wurden. Und hätte ich Freitagnacht nach unserer Ankunft hier, unweit unseres alten Flußlagers, nicht mit meinen eigenen Augen gesehen, wie sich die Hälfte von Hickeys unseliger Schar an Menschenfleisch weidete, dann würde mich diese äußerste Barbarey wohl noch immer unvorstellbar dünken.

    Noch sind nicht alle aus Hickeys höllischer Horde der Verlockung des Kannibalismus erlegen. Vorzüglich Hickey, Manson, Thompson und Aylmore thun sich als eifrige Menschenfresser hervor. Gleiches gilt, so hat sich herausgestellt, auch für den Matrosen William Orren, den Steward William Gibson, den Heizer Luke Smith, den Schiffsjungen Golding, den Kalfaterer James Brown und seinen Maat Francis Dunn.
    Doch andere üben gleich mir Enthaltsamkeit: Morfin, Best, Jerry, Work, Stickland, Seeley und natürlich Hodgson. Wir müssen alle mit schalem Schiffszwieback fürlieb nehmen. Von diesen Enthaltsamen, so vermuthe ich, werden wohl nur Stickland, Morfin, der Leutnant und ich selbst der Versuchung noch länger standhalten. Hickeys Leute haben auf ihrem Marsche entlang der Küste lediglich eine Robbe zu erlegen gewußt, welches allerdings hinreichte, um Öl zu erhitzen. Der Geruch von gebratenem Menschenfleisch ist entsetzlich verlockend.
    Bisher ist mir von Hickey noch keine Gewalt widerfahren. Nicht einmal, als ich mich in den vergangenen zwey Nächten weigerte, an ihrem abscheulichen Mahle Theil zu haben oder zu versprechen, daß ich zu gegebener Zeit andere Leichen zerlegen werde. Vorerst scheinen Mr. Lanes und Mr. Goddards Überreste ihren Appetit gestillt und mich von der Entscheidung entbunden zu haben, ob ich es vorziehe, Küchenmeister für Kannibalen oder selbst verstümmelt und zertheilt zu werden.
    Die Schrotflinten anzurühren ist keinem anderen erlaubt als Mr. Hickey, Mr. Aylmore und Mr. Thompson, welch letztere zu Leutnanten dieses neuen Buonaparte aufgestiegen sind. Und Magnus Manson ist selbst eine Waffe, derer sich nur ein einziger Mensch – so man ihn thatsächlich noch als solchen betrachten will – bedienen kann.
    Wenn ich jedoch das Schicksal erwähne, welches Hickey so gewogen scheint, meine ich nicht nur jene finsteren Machenschaften, welche ihm eine Quelle frischer Nahrung beschert haben. Nein, ich spreche von einer unverhofften Entdeckung. Zwey Meilen nordwestlich unseres alten Flußlagers, wo Mr. Bridgens von uns Abschied nahm, erstrecken sich an der Küste offene Fahrrinnen nach Westen.
    Sogleich machte sich Hickeys verderbter Pöbel daran, die Pinasse vom
Schlitten zu nehmen, zu takeln, zu beladen und zu Wasser zu lassen. Seither segeln und rudern wir geschwind an der Küste

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