Terror
entlang.
Gewiß mag es schwer begreiflich seyn, daß achtzehn Männer in ein achtundzwanzig Fuß langes offenes Boot passen, welches nur acht oder höchstens einem Dutzend bequem Platz biethet.
Und wirklich sind wir gezwungen, in drangvoller Enge zu reisen. Obgleich das Boot nur Zelte, Waffen, Munition, Wasserfässer, uns selbst sowie unsere grausigen Nahrungsvorräthe zu befördern hat, sind wir so schwer beladen, daß die See beinahe an die Dollborde reicht, vornehmlich wenn es uns die Breite der Rinnen gestattet, ohne den Gebrauch der Ruder gegen den Wind zu kreuzen.
Nachdem wir heute Abend gelandet waren, um unsere Zelte aufzuschlagen, hörte ich, wie Hickey und Aylmore miteinander flüsterten. Sie gaben sich keinerley Mühe, die Stimmen zu senken.
Es sind unser zu viele.
Das vor uns liegende Wasser ist offen und der Weg frey – vielleicht sogar bis hinauf zum Terror -Lager oder gar bis zur Terror selbst –, so wie es der Prophet Cornelius Hickey vorhersagte vor anderthalb Monathen in jener namenlosen Bucht, als nur die Entdeckung offenen Wassers eine Meuterey abzuwenden vermochte. So kann es durchaus geschehen, daß Hickey und seine Kumpane in drey Tagen gemüthlich zum Terror -Lager und zum Schiff segeln, während wir die gleiche Strecke in die entgegengesetzte Richtung unter schier unmenschlichen Entbehrungen in dreyeinhalb Monathen zurückgelegt haben.
Nun, da sie keine Bootsschlepper mehr benöthigen, stellt sich die Frage, welche Männer geopfert werden, um die Nahrungsvorräthe aufzufrischen und am morgigen Tage die Last zu mindern.
Während ich dies niederschreibe, schreiten Hickey und sein sklavischer Hüne sowie Aylmore und andere Anführer durch das Lager, um uns in gebietherischem Tone aus den Zelten zu rufen, wiewohl die Stunde schon spät und die Nacht dunkel ist.
Sollte ich morgen noch am Leben seyn, setze ich diese Aufzeichnungen fort.
56
Jopson
RETTUNGSLAGER
20. AUGUST 1848
S ie behandelten ihn wie einen alten Mann, ließen ihn zurück, weil sie ihn für einen verbrauchten und sterbenskranken Greis hielten. Aber das war lächerlich. Thomas Jopson war erst einunddreißig. Vor einunddreißig Jahren war er auf die Welt gekommen. Heute, am 20. August, war sein Geburtstag, und keiner von ihnen wusste es, bis auf Kapitän Crozier, der ihn schon seit mehreren Tagen nicht mehr in seinem Krankenzelt besucht hatte. Sie behandelten ihn wie einen alten Mann, weil ihm vom Skorbut oder aus anderen Gründen, die er nicht begriff, fast alle Zähne und Haare ausgefallen waren, weil sein Zahnfleisch, seine Augen, sein Haaransatz und sein Anus bluteten. Aber ich bin kein alter Mann. Er war erst einunddreißig, und sie ließen ihn an seinem Geburtstag zum Sterben zurück.
Am Nachmittag und Abend hatte Jopson sie draußen lautstark feiern gehört. Das Rufen, das Lachen und der Geruch von gebratenem Fisch drangen zu ihm herein, aber alles blieb als bloße Sinneseindrücke voneinander getrennt, weil er den ganzen Tag immer wieder in Fieberträume fiel. Doch in der Abenddämmerung war er aufgewacht und hatte gesehen, dass ihm jemand einen Teller gebracht hatte, auf dem eine Scheibe ölige Robbenhaut,
weiße, tropfende Speckstücke und ein nach Fisch stinkender, fast roher Streifen Robbenfleisch lagen. Jopson übergab sich schon allein wegen des Geruchs, aber nichts kam hoch, weil er schon seit Tagen nichts mehr gegessen hatte. Dann schob er das ekelhafte Zeug durch die offene Zeltklappe.
Er hatte begriffen, dass sie ihn zurücklassen wollten, als am späteren Abend ein Schiffsmaat nach dem anderen bei ihm vorbeigekommen war, ohne etwas zu sagen oder auch nur sein Gesicht zu zeigen. Jeder Einzelne von ihnen hatte ihm ein oder zwei Stücke felsenharten, schimmeligen Schiffszwieback ins Zelt geschoben, und jetzt lagen sie aufeinandergeschichtet neben ihm wie weiße Steine für sein Begräbnis. Er war zu schwach, um zu protestieren, und zu beschäftigt mit seinen Träumen. Dennoch hatte er verstanden, dass diese lausigen Klumpen aus altbackenem, schalem Mehl alles waren, was er für die Jahre treuer Dienste in der Navy und für Kapitän Crozier bekam.
Sie wollten ihn zurücklassen.
Beim Aufwachen am Sonntagmorgen hatte er einen klaren Kopf wie schon seit Tagen oder gar Wochen nicht mehr. Und da konnte er hören, wie seine Schiffsmaaten alles für den Aufbruch aus dem Lager vorbereiteten.
Weiter unten am Strand wurden Rufe laut, als die beiden Walboote umgedreht, die zwei Kutter auf Schlitten
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