Terror
schienen kaum zielstrebiger und sicherer als Jopsons mühsames Kriechen.
»Wartet!« Der Ruf kostete ihn fast seine letzte verbliebene Kraft, und er spürte förmlich, wie die Wärme seines Körpers in den eisigen Boden sickerte. Aber wenigstens war der Laut wie ein richtiges Wort aus seinem Mund gekommen.
»Wartet!« Diesmal war es nicht das Wimmern eines Kätzchens oder das Quieken einer sterbenden Robbe, sondern der Ruf einer echten Männerstimme.
Doch es war zu spät. Die Männer mit ihren Booten waren schon über fünfzig Faden weit draußen und kaum mehr als schwarze, taumelnde Umrisse vor einem ewig grauen Hintergrund.
Im Krachen des Eises und Jammern des Windes wäre nicht einmal ein Gewehrschuss zu hören gewesen, geschweige denn die einsame Stimme eines Zurückgelassenen.
Einen Augenblick lang lichtete sich der Nebel noch mehr, und alles wurde in ein mildtätiges Licht getaucht, als wollte die Sonne herauskommen, um überall das Eis aufzutauen und grün rankendes Leben und Hoffnung dorthin zu bringen, wo vorher karge Trostlosigkeit geherrscht hatte. Doch im nächsten Moment schloss sich der Nebel wieder mit klammen, kaltgrauen Fingern um Jopson und raubte ihm die Sicht.
Die Männer und die Boote waren verschwunden, als hätte es sie nie gegeben.
57
Hickey
SÜDWESTKAP VON KING-WILLIAM-LAND
8. SEPTEMBER 1848
D er Kalfaterersmaat Cornelius Hickey hasste Könige und Königinnen. Für ihn waren sie alle blutsaugende Schmarotzer am Allerwertesten des Staatskörpers.
Doch er stellte fest, dass es ihm durchaus behagte, selbst König zu sein.
Mit seinem Plan, den ganzen Weg zum Terror -Lager und zum Schiff zu segeln und zu rudern, war es vorbei, als die inzwischen nicht mehr so überladene Pinasse das Südwestkap von King-William-Land umfuhr und auf Packeis stieß. Das offene Wasser verengte sich zu Rinnen, die nirgendwohin führten oder sich vor ihnen schlossen, während das Boot an der Küste entlangkroch, die sich jetzt nach Nordosten erstreckte.
Weiter westlich war echtes offenes Wasser, doch Hickey musste mit der Pinasse in Sichtweite des Landes bleiben, weil niemand an Bord in der Lage war, ein Boot auf hoher See zu steuern.
Hickey und Aylmore hatten George Hodgson in ihrer Großzügigkeit nur deshalb erlaubt mitzukommen – oder vielmehr ihn nur deshalb dazu überredet –, weil der Dummkopf wie alle anderen Marineoffiziere im Zuge seiner Ausbildung auch die Navigation nach Gestirnen erlernt hatte. Doch bald nachdem sie
das Rettungslager verlassen hatten, hatte Hodgson zugegeben, dass er einen Sextanten brauchte, um ihre Position zu berechnen und das Boot über das Meer zurück zur Terror zu steuern. Und die einzigen verbliebenen Sextanten, die nicht auf dem Schiff zurückgelassen worden waren, waren im Besitz von Kapitän Crozier.
Als Hickey, Manson, Aylmore und Thompson den Kapitän und den Arzt hinaus aufs Eis lockten, geschah dies auch mit der Absicht, an einen der gottverdammten Sextanten heranzukommen. Doch in diesem Fall hatte den Kalfaterersmaat seine angeborene Gerissenheit im Stich gelassen. Weder ihm noch Dickie Aylmore war ein überzeugendes Argument eingefallen, mit dem ihr Lockvogel Bobby Golding Crozier dazu hätte bewegen können, seinen Sextanten mit hinaus aufs Eis zu nehmen.
Schließlich hatten sie sich darauf geeinigt, dem irischen Schweinehund durch Folter eine schriftliche Nachricht abzupressen, in der er verlangen sollte, dass ihm das Instrument gebracht wurde. Doch als Hickey seinen Peiniger dann auf den Knien vor sich liegen sah, hatte er beschlossen, ihn sofort zu töten.
Nachdem sie auf offenes Wasser gestoßen waren, hatte der junge Hodgson auch als Bootsschlepper keinen Nutzen mehr, und so sah sich Hickey gezwungen, sich seiner auf saubere, elegante Weise zu entledigen. Um ein wenig mehr Platz im Boot zu schaffen, hatte er bei dieser Gelegenheit auch gleich den Tölpel Golding beseitigt.
Zu diesem Zweck kam es ihm sehr gelegen, dass er jetzt Croziers Revolver hatte. In den ersten Tagen, nachdem sie mit Goodsir und ihrem Fleischvorrat zu den anderen zurückgekehrt waren, hatte der Kalfaterersmaat Aylmore und Thompson gestattet, die zwei erbeuteten Schrotflinten zu behalten. Die dritte hatte Crozier an Hickeys Gruppe abgetreten, als sie sich aus
dem Rettungslager verabschiedet hatten. Doch schon bald erschien es dem Kalfaterersmaat besser, keine zusätzlichen Waffen in seiner Schar zu haben, und so ließ er eine Flinte von Magnus ins Meer werfen. Auf
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